Archiv für den Monat Oktober 2012

Gutes Benehmen

Ich habe mich aufgeregt. Ich habe mich gewaltig aufgeregt. Das kommt vor. Aber normalerweise nicht im Zusammenhang mit gutem Benehmen, oder in diesem Fall besser „gutem Benehmen“.

Am 24. Oktober 2012 erschien auf der Webseite von Die Welt ein Artikel über die Deutsche Knigge Gesellschaft. Den Artikel bemerkte ich über eine Verlinkung auf Facebook. Als ich ihn las, habe ich mich aufgeregt, gewaltig aufgeregt. Über besagte Gesellschaft und ihre neuen Vorschläge für „gutes Benehmen“.

Popcorn im Kino
Popcorn gehört heute zum Kino dazu. In jedem Kino, das ich kenne, wird Popcorn verkauft. Ich kann mich noch an Zeiten erinnern, als es in deutschen Kinos noch kein Popcorn gab, aber das ist lange her.
Ich persönlich mag Popcorn und ich gehe gerne und oft ins Kino. Und ich esse Popcorn im Kino. Früher aß ich immer Rolo und saure Apfelringe, aber seit es in den Kinos Popcorn gibt bin ich auf ebendieses umgestiegen.
Die Deutsche Knigge Gesellschaft plädiert nun dafür, Popcorn aus den Kinos zu verbannen, wegen des Geraschels. Man setzt sich sogar für „popcornfreie Zonen“ ein. (Quelle: Die Welt)
Die unterschwellige Unterstellung in dieser Forderung ist, dass jeder, der Popcorn isst, dies auf grobschlächtige und ungehobelte Weise tut, was dann immer mit Rascheln (vielleicht sogar mit Schmatzen?) verbunden ist. Ich dagegen behaupte, dass man Popcorn auch anständig Essen kann und so, dass man niemanden damit stört. Wer gelernt hat, ordentlich und fein zu essen, kann auch sein Popcorn leise essen. Das bisschen Geraschel, das beim Griff in die Tüte entsteht, wird in der Regel ohnehin von den Filmgeräuschen überdeckt. Meiner Meinung nach wäre hier eher die Forderung angebracht, dass alle Leute beigebracht bekommen sollen, ihre Nahrung mit Anstand zu sich zu nehmen.
Außerdem sind es doch nicht die „Raschler“ die während der Filmvorführung stören, es sind vielmehr die Leute, die lautstark über den Film diskutieren, solange dieser noch läuft, oder diejenigen, die ihre Mobilgeräte herauskramen um damit entweder zu Telefonieren, oder darauf herumzutippen. Auch Menschen, die sich unnötig ausbreiten und mit ihren Füßen die Lehne ihres Vordermannes bearbeiten, oder die einfach nicht gelernt haben, dass es verschiedene Distanzzonen gibt, sind wirklich störend. Man dringt nicht in die intime Distanz von anderen ein, schon gar nicht wenn man sich alleine durch das Nebeneinandersitzen schon in der persönlichen Distanz von Wildfremden bewegt. (Distanzzonen siehe auch: Proxemik, Quelle: Wikipedia)
Wer uns korrektes Benehmen im Kino vormacht, sind ausgerechnet die USA. Ich war dort schon einige Male und jedes Mal auch im Kino, genauer gesagt in verschiedenen Kinos. Während des Film wurde nie auch nur ein Wort gequatscht und alle elektronischen Geräte blieben in den Taschen, sobald der Film begann. Jeder blieb auf seinem Platz. Das waren mit die angenehmsten Kinoerlebnisse, die ich bisher hatte. Die Kinobesucher hierzulande können sich von ihren Pendants über dem großen Teich noch ein großes Stück abschneiden. Ach ja: Selbstredend gibt es in Amerika Popcorn, in jedem Kino. Und nahezu jeder Kinobesucher isst Popcorn während der Vorstellung, aber gesittet. Und siehe da: Keiner wird gestört! Alle können den Film gemeinsam genießen! Ein Wunder! Popcorn ist nicht das Problem!

Kino ist leger und bleibt leger, nicht ohne dass man auf die Mitkinogänger achten und alle Mitmenschen achten muss. Man bedenke, dass man im Laufe der Zeit sogar den Dresscode für den Gang in die Oper gelockert hat.

Ganz davon abgesehen, bin ich mir durchaus bewusst, dass der Vorschlag der Knigge Gesellschaft zum Thema Popcorn ohnehin verpufft, da der Verkauf von Popcorn und Getränken ein wichtiges Geschäft für die Kinos ist. Was mich so dermaßen daran stört, sind die unterschwelligen Unterstellungen, die dabei mitschwingen und die Tatsache, dass ich mir sicher bin, dass Popcorn nicht das Problem ist.

Feiern und Paare
Ein weiterer Vorschlag der Knigge Gesellschaft betrifft die Sitzordnung auf Feiern und Partys. Ehepaare sollen nicht mehr nebeneinander sitzen. Der Grund: Ehepaare würden sich oftmals anschweigen oder streiten.
Auch diese Unterstellung finde ich wirklich frech, milde ausgedrückt. Ich selbst bin verheiratet und habe schon viele verschiedene Familienfeierlichkeiten organisiert. Die Sitzordnung ist mein Spezialgebiet.
Vor Jahren fand einmal eine Familienfeier statt, bei der sich die Gastgeber, offenbar der Knigge Gesellschaft weit voraus, eine Sitzordnung ausgedacht hatten, bei der nicht nur die Ehepaare, sondern ausnahmslos alle Paare und Familien (!) komplett auseinander gesetzt wurden. Diese Feier ging komplett in die Hose. Was den Gästen hinterher im Kopf blieb und worüber man sich noch lange unterhielt, war vor allem die misslungene Sitzordnung. Dass die Feier nach dem Essen, als sich alle Paare wieder zusammengefunden und dann adäquat gemischt hatten, auflockerte, beweist noch mehr den Unsinn einer solchen Tischordnung.
Das Ganze ist nur logisch. Was passiert, wenn man einem Menschen den Partner wegnimmt und damit vielfach die einzige Person, die er unter den Anwesenden kennt? Er fühlt sich verunsichert und schweigt erst recht. Das geht den meisten Menschen mit einem normal ausgeprägten Selbstbewusstsein so. Auf besagter Feier wurden während des Essens so wenige Unterhaltungen geführt, wie nie zuvor. Ich habe während einer Feier noch nie in solch ruhiger Atmosphäre gespeist. Wenn das das Ziel war, wurde es erreicht.
Aus meiner Erfahrung sehe ich die Forderung der Knigge Gesellschaft deshalb als groben Unsinn an.
Paare und Familien gehören auf Feiern zuerst einmal zusammen. Ich lehne auch exrta Kindertische ab. Warum sollen Kinder nicht bei Ihren Eltern sitzen? Kinder sind die Ersten, die sich untereinander finden und damit das Durchmischen nach dem Essen beschleunigen. Außerdem kann man auch Familien zusammen und Kinder neben Kinder setzen.
Bei der Sitzordnung ist es durchaus ratsam, Menschen zusammen zu setzen, die sich vorher nicht kannten. Paare auseinanderreißen muss man deswegen aber nicht. In Gesprächen fällt es Paaren außerdem leichter sich gegenseitig einzubinden und zu ergänzen, zum Beispiel wenn über einen gemeinsamen Urlaub berichtet wird.
Ehepaare, die sich auf Feiern streiten, haben kein gutes Benehmen. Sie disqualifizieren sich selbst. Streitigkeiten müssen andernorts ausgetragen werden und gehören nicht auf Feiern. Das gebietet der Anstand. Es sollte deshalb von vornherein ausgeschlossen sein, dass sich Paare streiten. Extra Maßnahmen sind nicht vonnöten.

Probieren
Was die Forderung der Knigge Gesellschaft betrifft, dass man beim Essen vom Gericht des Partners probieren darf, so halte ich dies nicht für eine Neuerung. Wer gesittet essen kann, sollte auch in der Lage sein, sich beim Probieren nicht durch grobschlächtige Bewegungen und damit verbundenes Kleckern zu blamieren. Ich probiere schon lange, wenn ich will und werde das auch weiterhin tun. Wenn das Restaurant dafür einen extra Teller bereitstellt, ist das gut.

Im Übrigen wünsche ich auch Leuten, die Niesen weiterhin „Gesundheit!“. Dies ist kniggemäßig ja schon lange verpönt. Ich kann allerdings nichts Ungehobeltes daran finden, jemandem etwas Gutes zu wünschen. Gefordert wird ja, dass sich der Niesende entschuldigt. Habe ich zu laut geniest und laufe ich Gefahr, dadurch jemanden erschreckt zu haben, tue ich das selbstverständlich auch gerne. Glücklicherweise geht es hier den meisten Menschen wie mir. Während eines Vortrages sagt selbstverständlich besser keiner etwas. Es kommt immer auf die Situation an, aber gänzlich ausschließen, jemandem einen gut gemeinten Wunsch auszusprechen, möchte ich persönlich nicht.

Wer gutes Benehmen und dadurch ein geschultes Gespür hat, der meistert jede Situation, egal ob Kino, Feiern, Essen oder Niesen. Es ist sicher logisch und richtig, dass sich manche Benimmregeln im Laufe der Zeit ändern und hinzukommen, aber die aktuellen Forderungen gehen meiner Meinung nach in eine falsche Richtung.

Knigge? Kann man in diesem Fall knicken.