Archiv für den Monat April 2018

Randalerammler

In Zeiten, in denen sich über die sozialen Netzwerke Menschen mithilfe der abstrusesten Behauptungen Gehör verschaffen, ist es sogar möglich, dass eine Familienkomödie ob der darüber geführten Debatten geradezu skandalös wirkt. So geschehen im Fall Peter Hase (Peter Rabbit, Link zu IMDB). Zum einen waren da die vorlagentreuen Puristen aus dem Vereinigten Königreich. Denen kräuselte sich – so hatte man beim Lesen so manchen Artikels das Gefühl – beinahe die sorgfältig kultivierte „Stiff upper lip“, weil Regisseur Will Gluck in seiner rasanten Interpretation der Geschichte so gar kein klassisches Kuschelfeeling aufkommen lässt. Zum anderen ereiferten sich in den Vereinigten Staaten Allergiker über eine bestimmte Szene und riefen gar zum Boykott des Films auf (Link zur News auf moviepilot.de), wodurch sich Sony Pictures tatsächlich zu einer öffentlichen Entschuldigung genötigt fühlte. Das ganze internationale Gewese führte dazu, dass man auch hierzulande im Radio pünktlich zum Filmstart fröhlich über die Altersfreigabe und die Eignung des Werkes für das ganz junge Publikum debattierte. Am Ende musste ich meinen Ehemann, der dies gehört hatte und deswegen eine leichte Verunsicherung verspürte, quasi zu einem Kinobesuch mit der ganzen Familie überreden. Der Trailer gefiel mir und dem mittlerweile schon zum kleinen Cineasten gewordenen Junior zu gut, als dass ich mir das Hasenabenteuer auf der großen Leinwand entgehen lassen wollte.

Warum sich allzu eng an die bestehenden Geschichten halten, wenn es schon eine ganze Animationsserie (Link zu Peter Hase auf fernsehserien.de) gibt, die sich an junge Zuschauer richtet? Diese in meinen Augen absolut berechtigte Frage mögen sich Will Gluck und Rob Lieber gestellt haben, als sie begannen, das Drehbuch für ihre Version zu schreiben. Obwohl ich selbst in der Regel zu denjenigen gehöre, die Buchverfilmungen lieber nicht zu weit vom jeweiligen Original entfernt sehen, muss ich sagen, dass dies bei Peter Hase zu einem viel langweiligeren und in Anbetracht der wirklich süß gemachten Kinderserie überflüssigen Ergebnis geführt hätte. So bietet das schwungvoll inszenierte Kinoabenteuer vom wehrhaften Mümmelmann Peter (deutsche Stimme: Christoph Maria Herbst) einen ganz anderen Blick auf die Thematik. Der kämpft mit seinen tierischen Freunden nämlich verbissen um ein Stück Land, von dem er und seine Familie von einem alten Griesgram rabiat vertrieben wurden. Nachdem der Besetzer das Zeitliche gesegnet hat, wähnen sich die Waldbewohner in Sicherheit und übernehmen nicht nur den Gemüsegarten, sondern gleich das ganze Haus. Die wilde Party, bei der sich Fuchs und Hase gemeinsam prächtig amüsieren, wird jäh unterbrochen als der Erbe, Thomas McGregor (Domhnall Gleeson), einzieht und sich als noch unfreundlicher und streitsüchtiger erweist als sein entfernter Onkel. Obendrein versteht er sich auffallend gut mit Bea (Rose Byrne), der einzigen menschlichen Tierfreundin und standhaften Fürsprecherin Peters weit und breit. Das bringt für den frechen Randalerammler das Fass zum Überlaufen. Entschlossen, den Neuankömmling schnellstmöglich zu vertreiben, stürzt er sich in eine immer weiter ausufernde Auseinandersetzung.

Wenngleich eine amerikanische Produktion, ist der Humor bei Peter Hase durchweg recht britisch geraten. Garniert mit einer ordentlichen Prise Slapstick und Haudraufhumor, servieren die Macher einen Film, bei dem sich Groß und Klein über ganz unterschiedliche Dinge gemeinsam amüsieren können. Sehr geschickt geschriebene Charaktere, von denen kein einziger ein lupenreiner Sympathieträger ist, sorgen gleichzeitig für eine in Komödien selten anzutreffende Tiefgründigkeit. Im wahren Leben bewegen sich Konfliktparteien nachweislich ebenfalls zumeist eher in Grauzonen, als dass sie eindeutig als gut oder böse zu identifizieren wären. Das althergebrachte Schema „Held gegen Schurke“ funktioniert in Geschichten zwar immer gut, wir sollten unseren Kindern aber trotzdem das Verständnis für etwas komplizierter gestrickte Konzepte zutrauen. Und wenn es nach dem Film Gesprächs- oder Diskussionsbedarf gibt: umso besser. Man kann ruhig einmal darüber reden, dass Sympathie und Antipathie keine vordefinierten Ansichten sind und jeder seine guten und seine schlechten Seiten hat. Dabei muss meiner Meinung nach keiner Angst haben, dass die Kleinen nach der berüchtigten Szene, in der Peter Hase die Allergie von Mr. McGregor heimtückisch zu seinem Vorteil auszunutzen versucht, Menschen mit einer solchen Erkrankung nicht mehr ernst nehmen. Ganz im Gegenteil: das Krawallkarnickel bekommt für die Aktion – und für weitere Gemeinheiten – ordentlich Gegenwind von seinen Verbündeten. Die Action ist zusätzlich so überzogen, dass – ähnlich wie einst bei den Holzhammergags der Looney Tunes – niemand im Nachhinein ernsthaft Gedanken zum Nachmachen hegen sollte. Um unter allem Gelächter eine Botschaft zu transportieren, müssen Witze einfach manchmal dahin zielen, wo es weh tut.

Wer das ganz naturnahe Motiv vom Fressen und Gefressenwerden und die Visualisierung eines Konfliktes, bei dem auf beiden Seiten mit harten Bandagen gekämpft wird, scheut, der sollte sich Peter Hase nicht ansehen – und im übrigen auch keine alten Märchen der Gebrüder Grimm lesen. Im Konflikt zwischen Hoppler und Hausherr geht es ordentlich zur Sache. Wer sich von der heilen Welt der Bücher nicht lösen kann, der sollte bei diesen bleiben oder sich die noch harmlosere Serie anschauen. Alle, die eine gut gemachte Familienkomödie sehen wollen, die bei näherer Betrachtung mehr Tiefgang offenbart, als man zuerst meinen könnte, und die vor möglichen interessanten Gesprächen mit ihren Kindern hinterher nicht zurückweichen, sind im Kino dagegen richtig aufgehoben. Nebenbei bemerkt haben sich mein Mann und mein Sohn am Ende beide gut amüsiert – und ich ebenso.

Eine Insel mit zwei Bergen

Deutsche Kinofilme und Fernsehproduktionen haben es schwer mit mir. Der Großteil davon trifft überhaupt nicht meinen Geschmack, vor allem dann, wenn krampfhaft versucht wird, mit beschränktem Budget möglichst nahe an Blockbuster-Hollywoodproduktionen mit ähnlicher Thematik heranzukommen. Das ruft bei mir regelmäßig schon beim Ansehen der Trailer heftiges Kopfschütteln hervor, denn meiner bescheidenen Meinung nach liegt das Können der heimischen Filmemacher nicht in diesem Bereich, sondern viel mehr bei der Familienunterhaltung. Hier gibt es seit jeher einen Output mit erstaunlicher Qualität. Dank namhafter deutscher Kinder- und Jugendbuchautoren, die jede Menge weltbekannte Klassiker verfasst haben, existiert genug Stoff, der eine (Neu-)Verfilmung wert ist. Mit großem Wohlwollen habe ich deshalb beobachtet, dass seit einigen Jahren die Werke von Otfried Preußler mit ihren Kinoversionen gewissermaßen ein kleines Comeback feiern – ganz verschwunden waren sie aus den Bücherregalen glücklicherweise nie. Das kleine Gespenst und Die kleine Hexe sind beide sehenswert. (Links bei Filmtiteln zu IMDB)

Gleichwohl opulenter und kostenintensiver produziert als die Geschichten vom Nachtgespenst und der guten Hexe kommt nun die Umsetzung von Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer daher. Für Regisseur Dennis Gansel und sein Team war dies zweifellos kein leichtes Unterfangen, sorgt doch allein das Lesen des Titels bei Generationen von Eltern und Großeltern für wohlige Erinnerungen an spannende (Vor-)Lesestunden und einen Ohrwurm. Kultstatus genießt Michael Endes Vorlage verdientermaßen – in Buchform und als Fernsehstück der Augsburger Puppenkiste (Link zu Wikipedia). Sein altersgruppenübergreifend beliebtes Opus gegen Abschottung und Vorurteile, für Weltoffenheit und Abenteuerlust ist inhaltlich heute so aktuell wie zur Zeit seiner Entstehung.

Es ist erstaunlich, wie nahe am Roman der Film über die gesamte Spielzeit hinweg bleibt. Vom Casting über die Szenenbilder und die Kostüme bis zu den technisch hervorragenden Spezialeffekten haben die Macher ganze Arbeit geleistet. Die fantastische Welt von Findelkind Jim Knopf, der auf der winzigen Insel Lummerland in Gesellschaft der vier dort ansässigen, schrulligen Bewohner aufwächst, wird mit jeder Menge liebevoller Details zum Leben erweckt. Zusammen mit dem handfesten aber herzensguten Lokomotivführer Lukas und dessen empfindsamer Dampflokomotive Emma begibt sich Jim auf eine Reise, die die beiden Abenteurer bis ans Ende ihrer vor Wunderlichkeiten strotzenden Welt führt – und sogar noch darüber hinaus. Dabei trotzen sie extremen Naturgewalten, begegnen im wahrsten Sinne des Wortes fabelhaften Wesen und suchen nach einer verschwundenen Prinzessin.
Bleibe stets neugierig und begegne allem, was dir im ersten Augenblick fremd erscheinen mag, mit offenem Herzen. Die Welt ist groß, aber du musst dich nicht von ihrer Vielfältigkeit geängstigt fühlen. Das ist es, was uns die Abenteuer von Jim und Lukas in Buch und Film aufzeigen: Etwas immanent Wichtiges, das mein Mann und ich unserem Sohn stets vermitteln wollen.

Das Schauspielensemble harmoniert bis in die Nebenrollen und ist in bester Spiellaune. Henning Baum und Solomon Gordon transportieren die Freundschaft zwischen Lukas und Jim Knopf sehr überzeugend. Annette Frier und Christoph Maria Herbst mimen zusammen mit Uwe Ochsenknecht den herrlich seltsamen Rest der Lummerlandbevölkerung. Positiv aufgefallen ist mir außerdem die Leistung von Michael Herbig als Synchronsprecher für den animierten Halbdrachen Nepomuk, da er diesem einen eigenen Charakter verleiht, ohne seine Stimme künstlich zu verstellen und in eine seiner bekannten Rollen zu verfallen.

Musikalisch schafft es Ralf Wengenmayr das Lummerlandlied, das Fans der Augsburger Puppenkiste so ans Herz gewachsen ist, nicht überzustrapazieren. Er nutzt es als wiederkehrendes Thema, das in den restlichen Score geschickt und nie zu aufdringlich eingeflochten wird. Die von einem gewissen österreichischen Volksmusiker neu aufgenommene, viel diskutierte und völlig unnötige Version des einprägsamen Liedes hat es zum Glück nicht in den Film geschafft.

Alles in allem ist Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer eine sehr gelungene Inszenierung des Kinderbuchklassikers für die große Leinwand, an der vermutlich auch der Verfilmungen sonst eher kritisch gegenüber gestandene Michael Ende seine Freude gehabt hätte. Ein Besuch im Lichtspielhaus lohnt sich folglich allemal. Zusammen mit meiner Familie freue ich mich ab sofort auf den für 2020 geplanten zweiten Teil. Bis dahin lese ich dem Sohnemann das Buch vor. Wir haben gleich nach dem Verlassen des Kinosaals die Neuauflage mit Bildern aus dem Film gekauft (Link zum Buch auf Amazon.de). Die althergebrachte Fassung lagert derweil gut behütet im Bücherregal meiner Mutter. Der Weg zwischen Film und Buch kann also nebenbei umgekehrt funktionieren. Witzigerweise war dies bei mir als Kind im Fall der Unendlichen Geschichte genauso.