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Gerippe, Schein und Sein

Oskar. So hieß das erste, lebensgroße, menschliche Plastikskelett, das ich in der Schule sah. Lange Zeit war dieser Name für mich deshalb gleichbedeutend mit Skeletten. Zumindest so lange, bis ich begann, mich intensiver für Filme zu interessieren und mitbekam, dass es da in der großen weiten Welt, auf der anderen Seite des großen Teichs, kleine, goldene Trophäen gibt, die einmal im Jahr verliehen werden und die den gleichen Namen tragen (bis auf einen läppischen Buchstaben).

Am vergangenen Sonntag war es wieder soweit: Die Oscars wurden verliehen. Ich habe die Preisverleihung nicht live im Fernsehen gesehen, mich aber selbstverständlich, wie es sich für eine anständige Cineastin gehört, im Nachhinein intensiv darüber informiert.

In den Medien kam man in den vergangenen Tagen auch kaum an diesem Thema vorbei. Jeder hatte etwas zu sagen, jeder wollte seine Meinung zu dem großen Event und zu den Preisträgern kundtun, die von der Academy mit einem der kleinen, goldenen Männchen bedacht wurden. Skandale und Skandälchen wurden beschrieben. Gründe für oder gegen Entscheidungen wurden ausgeführt. Eine wahre Bilderflut ergoss sich über alle Kanäle. Natürlich schaute auch ich mir gerne die Bilder von den Stars und Sternchen auf dem roten Teppich an und bewunderte ihre tollen Roben.

Da ich zugegebenermaßen (noch) nicht alle, der nominierten Filme gesehen habe und konnte ich mir auch noch keine abschließende Meinung zur diesjährigen Preisverleihung bilden. Einige Filme werde ich sicher noch nachholen und sie dann wie gewohnt einzeln besprechen.

Filme verdienen Aufmerksamkeit, egal ob sie oscarnominiert sind, oder nicht. Solange sie es schaffen, auf irgendeine Weise mein Interesse zu wecken, bin ich gerne bereit mich mit ihnen zu befassen. Am Ende ist es der persönliche Geschmack, der entscheidet und so darf man nie vergessen, dass auch die Jury der Academy nur aus Menschen besteht, die alle eigene Ansichten haben. Mann kann vieles in die Entscheidungen hineininterpretieren, vielleicht sollte man das aber gar nicht tun. Die Oscar-Verleihung ist vor allem ein Fest, bei dem sich Hollywood und die Filmbranche selbst feiert. Ein verdientes Fest, wie ich finde.

Dolby Theatre, HollywoodLetztes Jahr führte mich meine Hochzeitsreise direkt nach Hollywood. Das Hotel, in dem wir nächtigten, war nur einen Steinwurf vom Walk of Fame entfernt. Gerade weil die Erinnerungen an die Reise noch so frisch sind, haben mich dieses Jahr insbesondere die Bilder von den Vorbereitungen zur Oscar-Verleihung fasziniert. Mir war gar nicht bewusst, dass der rote Teppich mitten auf der Straße aufgebaut wird. Es ist ob seiner Größe logisch, aber vieles begreift man eben erst richtig, wenn man es mit eigenen Augen gesehen hat.

So ging es mir generell mit dem Film an sich als Kunst und Werk. Ich konnte zuvor noch so viel lesen und ansehen, welche Arbeit in einem Film wahrhaftig steckt, konnte ich erst fassen, als ich zum ersten Mal ein Filmstudio besuchte. Schon ein Besuch vor Jahrzehnten in den Bavaria Filmstudios in München bestärkte meine Faszination. Was ich in den großen Studios in Hollywood sah, faszinierte mich noch viel mehr. Auch wenn ich nur das Touristenprogramm absolvierte, bekam ich doch genug Einblick, um Filme noch mehr würdigen zu können.

Die menschliche Arbeit, gute und ehrliche Arbeit, zu großen Teilen Handarbeit, die geleistet werden muss bis Filmkulissen stehen, die Masse an Menschen, die an der Entstehung eines Films beteiligt sind und die vielen Tricks, mit denen gearbeitet wird um das Ergebnis auf der Leinwand zu perfektionieren, das alles vergisst man leicht, wenn man einen Film konsumiert. Das Filmemachen an sich ist nicht wirklich glamourös. Man darf es nicht mit den rauschenden Premierefeiern verwechseln.

Was für eine großartige Leistung die Schauspieler vollbringen, indem sie uns das, was wir im Film sehen, glaubhaft machen, wurde mir in Hollywood erst richtig bewusst. Oft wird über die Marotten und die Selbstdarstellung von Schauspielern gemeckert. Wenn sie einen Film drehen, sind es aber sehr oft nicht sie, die den Ton angeben. In der verbleibenden Zeit zwischen verschiedenen Anstellungen müssen sie sich verkaufen, auf sich aufmerksam machen und vielleicht auch ein bisschen kompensieren, dass sie beim Drehen nur ein Rädchen im großen Getriebe sind. Ich bewundere deshalb die Schauspieler umso mehr, die mit wenigen Marotten oder gar allürenfrei auskommen. So gönne ich beispielsweise Christoph Waltz seinen diesjährigen Oscar sehr.

Gerade weil die Produktion eines Films so umfangreich ist, finde ich es übrigens gut, dass es die „kleineren“ Oscar-Kategorien, wie Make-up, Ton und Szenenbild gibt. Sie erinnern die Zuschauer daran, dass zum Filmemachen mehr gehören, als nur die Stars, die von den Plakaten herabblicken und die Zuschauer ins Kino locken. Ohne all diese Menschen wären Filme wie Gerippe, blasse Gebilde ohne Fleisch und Blut.

Hollywood ist mehr Schein als Sein, das wird einem an geradezu jeder Straßenecke dort bewusst. Die Menschen, die es schaffen, den großen Schein zu wahren und aufrechtzuerhalten, der so viele Zuschauer unterhält haben sich ihr großes Fest einmal im Jahr verdient. Skandale, Skandälchen, Allüren und Politik hin oder her. Ob die ausgezeichneten Filme auch als solche empfunden werden, das muss jeder Zuschauer am Ende für sich selbst entscheiden.

Gesprengte Ketten

Es gibt Filme, auf die freue ich mich ab dem Zeitpunkt, an dem ich erfahre, dass sie in Entstehung sind. Django Unchained war einer dieser Filme. Seit ich das erste Mal las, dass sich Quentin Tarantino für sein nächstes Werk auf Wildwest-Terrain begeben will, war ich mehr als gespannt auf das Ergebnis.

Schon seit meiner Kindheit bin ich ein großer Western-Fan. Ich erinnere mich immer wieder gerne daran, wie ich am Wochenende mit meinem Vater zusammen auf dem Sofa gesessen und mir die großen Leinwandabenteuer von Cowboys und Outlaws mit rauchenden Colts im Fernsehen oder auf Video angesehen habe. Für Karl Mays Winnetou konnte ich mich nie so richtig erwärmen – weder als Buch noch als Film – obwohl ich mich redlich bemühte. Zu langatmig waren mir seine Geschichten. Die großen Italowestern schätzte ich dagegen sehr. Charles Bronson, Clint Eastwood und Franco Nero sind für mich Inbegriffe für Westernhelden – cool und immer mit dem Finger am Abzug. Regisseure wie Sergio Leone und Sergio Corbucci haben Filmklassiker geschaffen, an denen sich neue Westernfilme auch heute noch messen lassen müssen.

Bestimmt ist es meiner Leidenschaft für Spaghetti-Western zu verdanken, dass ich das Videospiel Red Dead Redemption nicht einfach nur durchgespielt, sondern wochenlang regelrecht zelebriert habe. Mit John Marston ritt ich stundenlang durch die Ödnis, jagte Banditen und sorgte für Gerechtigkeit im Wilden Westen. Dabei wurden all die Klischees aus den Filmen bedient, die das Herz von Westernfans höher schlagen lassen. Auch Stephen Kings Revolvermann Roland habe ich nach dem ersten Band des Dunklen-Turm-Zyklus, der mehr Western als Fantasy ist, sofort in mein Hez geschlossen, gab der Autor doch auch zu, dass ihn bei der Erschaffung von Roland im Hinterkopf der Gedanke an Clint Eastwood als Cowboy begleitete.

Nun war es also Quentin Tarantino, der sich daran wagte, dem Westerngenre neues Leben einzuhauchen. Ich schätze die Arbeit von Quentin Tarantino sehr. Der Hollywood-Rebell, der sich ohne spezielle Ausbildung ans Filmemachen wagte, hat schon einige gute Filme gedreht. Die Unterstützung von vielen renommierten Schauspielern ist ihm dabei stets sicher.

Der Name „Django Unchained“ weckte in mir sofort einige Erwartungen, sowohl an die Story, als auch an deren Umsetzung. Denke ich an Django, habe ich sofort Franco Nero im Staubmantel vor Augen, wie er auf Rache sinnend durch den Westen zieht und dabei einen Sarg und eine Spur der Verwüstung hinter sich herzieht – wortkarg, cool, kompromisslos. Italowestern at its best. Vom neuen Django-Film erwartete ich deshalb eine Hommage an den Spaghetti-Western, die, wie schon Red Dead Redemption, gewisse Klischees bedient.

Wahrscheinlich waren es meine Erwartungen, die mich am Ende des Films doch ziemlich enttäuscht aus dem Kino gehen ließen. Das letzte Mal, als ich ein solches Gefühl verspürte, war nach The Dark Knight Rises, an den ich ebenfalls sehr hohe Erwartungen hatte, die aber mitnichten erfüllt werden konnten. Wie ich letztes Jahr dachte „Das ist nicht Bane!“, so dachte ich nach Django Unchained im ersten Moment nur „Das ist nicht Django!“.

Django Unchained ist kein schlechter Film. Nein. Auf keinen Fall! Quentin Tarantino beherrscht sein Handwerk als Drehbuchautor und auch als Regisseur. Er liefert die Bilder in genau dem Stil ab, den man von ihm erwartet und den seine Fans so schätzen. Auch gibt es in Django Unchained wieder massenhaft lange, ausgefeilte, aberwitzige Dialoge zwischen schrulligen Charakteren. Ein Highlight war für mich beispielsweise ein Dialog innerhalb einer Art trotteligen Abteilung des Ku-Klux-Klan, bei dem über Sinn und Unsinn von Kapuzen gestritten wird. Tarantino-Fans werden auch viele bekannte Gesichter aus seinen anderen Filmen entdecken, sowohl in den Haupt- wie auch in den Nebenrollen (z.B. Tom Savini).

Generell ist die Besetzung von Django Unchained absolut hochkarätig und in bester Spiellaune. Christoph Waltz ist für mich einer der talentiertesten Schauspieler, die sich in den letzten Jahren auf der großen Leinwand tummeln. Er hat jede Auszeichnung, die er bereits erhalten hat und die er sicherlich noch erhalten wird, absolut verdient. Leonardo DiCaprio ist in meinen Augen der Hollywood-Schauspieler, der in seiner Karriere die bemerkenswerteste Wandlung vollzogen hat: vom Sonnyboy zum wirklich ernstzunehmenden Schauspieler. Samuel L. Jackson ist für schrullige Figuren eine sichere Wahl. Kerry Washington wird in ihrer Rolle als Djangos Frau nicht vor große schauspielerische Herausforderungen gestellt. Und Jamie Foxx als Django? Der ist für mich einfach etwas zu zurückhaltend, betrachtet er die Westernwelt über die Hälfte des Films nur mit großen, staunenden Augen und packt erst spät seine Revolver aus. Wenn er sie auspackt, dann zwar mit viel Bumms, aber der kommt relativ spät.

Tarantino huldigt dem Italowestern in Django Unchained in mannigfaltiger Weise. Die Kameraführung. Die Landschaftsaufnahmen. Die Original-Musik aus alten Filmen. Das neue Lied von Ennio Morricone. Der kurze Gastauftritt von Franco Nero. Es gibt Banditen, Saloons, Westernstädte und Revolverhelden. Westernfeeling? Ja, bloß irgendwie mit zu wenig „Spaghetti“. Zu allgegenwärtig war die Sklaverei als Hauptthema des Films. War das erste Drittel des Films noch eher Western, wandelte er sich ab seinem zweiten Drittel eher zu einem Südstaaten-Drama um Weiße und Schwarze und um den unsäglichen Teil der amerikanischen Geschichte, in dem Menschenhandel an der Tagesordnung war und man bestimmte Menschen als minderwertig ansah.

Die Zielsetzung, die Brutalität und Unmenschlichkeit der Sklaverei in einem Film zu thematisieren finde ich generell gut. Auch Tarantinos Ansatz, Leute über Themen zum Lachen zu bringen, die eigentlich überhaupt nicht zum Lachen sind, finde ich interessant und lobenswert. Immerhin hat er es schon mit Inglorious Basterds geschafft, das Nazithema endlich einmal anders anzupacken, ohne die Ernsthaftigkeit und Schrecklichkeit zu vernachlässigen. Auch bei Django Unchained wird nichts verharmlost. Ganz im Gegenteil: Sowohl in den Worten als auch den Taten der Protagonisten ist die gesamte Brutalität der Sklaverei allgegenwärtig. Django wird am Anfang aus seinen Sklavenfesseln befreit. Die Sklaven werden stets als Nicht-Menschen behandelt.

Bemerkenswert ist auch, wie Tarantino germanisches Geschichtengut in seinen Film einwebt. Django Unchained ist eine Art Südstaaten-Version der Nibelungen-Sage. Ich habe gelesen, dass Waltz Tarantino in eine Wagner-Oper mitnahm und dass diese den Regisseur so faszinierte, dass er den Stoff kurzerhand in Django Unchained einarbeitete. Daraus wird auch im Film kein großes Geheimnis gemacht, denn Christoph Waltz als Dr. King Schultz erklärt seinem Schützling Django sogar kurz den Inhalt der Sage. Djangos Frau heißt „Broomhilda von Shaft“ und spricht sogar ein paar Sätze Deutsch. Die gesamte Geschichte kann im Sinne der Nibelungen-Sage interpretiert werden. So bewacht der rotgekleidete Gutsherr Calvin Candie (Leonardo DiCaprio) wie der Drache Fafnir die geliebte Broomhilda und Django eilt ihr als „Siegfried“ zu Hilfe. Dr. King Schultz steht ihm dabei als heldenhafte und treue Version von Hagen zur Seite und Samuel L. Jackson könnte einen spitz- und doppelzüngigen Loki darstellen. Germanische Götter- und Heldensagen in Hollywood? Respekt! Das Ganze hatte aber auch zur Folge, dass sich die Geschichte thematisch noch mehr vom Western entfernte.

Django Unchained ist für mich deshalb keine richtige und konsequente Hommage an den Italowestern, sondern eher ein Südstaaten-Epos mit klarer Botschaft: „Die Sklaverei ist eines der dunkelsten Abschnitte der amerikanischen Geschichte. Sie darf nicht in Vergessenheit geraten.“ Für einen Spaghetti-Western war mir der Anteil der kritischen Botschaft einfach zu groß. Es gibt Italowestern mit kritischer Botschaft, allerdings wird der Zeigefinger nie so hoch gehoben, wie Tarantino es tut. Spiegel Online fragte in einem Artikel, ob Tarantino wohl das Wort „Spaghetti-Western“ in den Mund nahm, als er mit Ennio Morricone über ein Lied für seinen Film sprach. Ich glaube, das musste er gar nicht. Django Unchained ist kein solcher Film.

Vielleicht hätte Tarantino seinen Film umbenennen, noch ein wenig mehr vom Italowestern entfernen und ihn als Südstaaten-Siegfried verkaufen sollen. Allein der Name „Django“ weckte in mir andere Erwartungen. Er legte meinen Gedanken Fesseln an, von denen ich sie nicht so einfach befreien konnte, wie Django sich von den seinen im Film. Man hätte ihm wenigstens seinen Sarg mit dem Maschinengewehr geben können, irgendwann im Film. Django ohne Sarg ist für mich nicht Django. Tut mir sehr leid, Herr Tarantino.

Wer Django Unchained noch nicht gesehen hat, dem empfehle ich, sich nicht auf eine lupenreine Spaghetti-Western-Hommage einzustellen, sondern etwas anderes zu erwarten. Sonst könnte es sein, dass noch mehr Leute, wie ich, enttäuscht aus dem Kino gehen, obwohl der Film an sich nicht schlecht ist – eben nur anders als man es vielleicht erwartet. Ich empfehle übrigens dringend, den Film im englischen Originalton zu sehen. Die deutsche Synchronisation ist nicht besonders gut und in einer großen Einblendung befindet sich ein grober und auffälliger Rechtschreibfehler.

Meine Lieblingsfilme von und mit Quentin Tarantino bleiben nach wie vor Reservoir Dogs, auch wenn man ihm mittlerweile sein Alter und sein Budget ansieht, Pulp FictionJackie Brown und From Dusk Till Dawn. Tarantino ist und bleibt für mich am stärksten ohne große Botschaft. Kriegt er für Django Unchained weitere Preise (einen Golden Globe hat er ja schon), gönne ich ihm die natürlich. Er hat schon viel geleistet und da ist es nur recht, wenn er dafür endlich gewürdigt wird.

Von Siegern und Heimkehrern

In Hollywood wurden wieder einmal Trophäen verteilt: Goldene Weltkugeln. Die Rede ist natürlich von den Golden Globes (Link zur Offiziellen Webseite).

Ob man die Meinung der Jury teilt, von der die Preise vergeben werden, bleibt natürlich jedem Film- und Serien-Fan selbst überlassen. Ich persönlich habe mich über die Meldung gefreut, dass Quentin Tarantino und Christoph Waltz jeweils eine der begehrten Trophäen erhielten, denn ich verehre die Arbeit von beiden sehr. Ihren neuen Film Django Unchained werde ich mir ansehen und separat darüber berichten. Auch der Animationsfilm Merida (Brave) wurde mit einem Golden Globe ausgezeichnet, den er meiner Meinung nach ebenfalls verdient hat. (Links zu IMDB, auch die folgenden Links)

Ich habe (teilweise noch) nicht alle der nominierten Filme und Serien gesehen, weshalb ich mir auch kein abschließendes Urteil zum Thema Golden Globes erlauben kann.

Was ich allerdings gesehen habe, ist die TV-Serie Homeland, die ebenfalls mit drei der begehrten Weltkugeln ausgezeichnet wurde. Das sind bei weitem nicht die ersten Preise, die die Serie erhalten hat. Schon 2012 wurden den Schauspielern und Machern von Homeland Golden Globes, Emmys und weitere Preise verliehen. In den Medien wurde Homeland schon oft als bedeutende Drama-Serie gelobt, was mich, neben dem Rummel um die ganzen Preise, dann auch dazu veranlasst hat mir die erste Staffel anzusehen.

(Achtung: Der Rest dieses Artikels enthält Spolier zur ersten Staffel von Homeland!)

Leider muss ich sagen, dass ich den Hype um Homeland nicht wirklich nachvollziehen kann. Die Geschichte um den im Irakkrieg verschollenen Soldaten Nicholas Brody (Damian Lewis), der nach acht Jahren wieder auftaucht, beginnt durchaus sehr spannend, Zusammen mit der CIA-Agentin Carrie Mathison (Claire Danes) fragt sich der Zuschauer, ob der Heimkehrer während seiner Gefangenschaft zum Überläufer und damit ein Terrorist geworden sein könnte.

Die erste Hälfte der ersten Staffel dreht sich nur um diese Fragestellung und wird damit zum meiner Meinung nach stärksten Part von dieser. Denn leider wird die Frage viel zu schnell beantwortet. Das Verwirrspiel alleine und die verschiedenen Plottwists hätte man mit weiteren Inhalten anfüllen und sicherlich über die gesamte Staffel hinweg behandeln können. Hätte man weiterhin solch gute Ideen wie zu Beginn gehabt und diese konsequent umgesetzt, hätte man Brodys Beweggründe noch eine ganze Zeit lang verschleiern können. Stattdessen wird Brody (zumindest für die Zuschauer) schnell als Überläufer enttarnt. Dadurch ergibt sich natürlich die Möglichkeit auch noch seine Gefangenschaft zu beleuchten, zusätzlich zum ständig drohenden Attentat.

Der größte Fehler, den die Serie begeht, ist in meinen Augen der, dass was Brody anbelangt zu früh alle Karten auf den Tisch gelegt werden. Zwar verbleiben dennoch einige Überraschungsmomente, jedoch büßen diese dadurch an Wirkung ein, dass die Charaktere in der Kürze der Zeit und durch die Masse an Inhalten nicht wirklich vorgestellt werden und auch keine ausreichende Entwicklung erkennen lassen können.

In der zweiten Hälfte der Staffel bekommen die Zuschauer Brodys Zeit im Irak und in Gefangenschaft in Rückblenden präsentiert. Allerdings vollzieht sich die Gehirnwäsche so schnell, dass das Ganze auf mich doch (sicher unfreiwilligerweise) sehr unrealistisch wirkte. Der Mann war ganze acht Jahre von Zuhause entfernt und muss ein regelrechtes Martyrium an Gedanken und Sehnsüchten durchlebt haben. Heimweh, Gedanken an die geliebte Familie, Gedanken über den Krieg, Gedanken über seinen Job als Soldat – all diese Dinge werden weder behandelt noch im Detail dargestellt. Viel zu schnell fügt er sich nach unmenschlichen Folterqualen in sein Schicksal ein, vertraut dem einzigen Menschen, der ihn in der Fremde gut behandelt und macht dessen Ideale zu den eigenen, schmiedet sogar selbständig Rachepläne an seinem Heimatland.

Die menschliche Entwicklung von Brody halte ich an sich nicht für unrealistisch. Es ist natürlich möglich, Menschen durch Folter und verschiedene psychologische Techniken zu indoktrinieren und auch so weit zu treiben, dass sie bereit sind, als Märtyrer zu sterben und andere Menschen mit in den Tod zu reißen. Allerdings ist Gehirnwäsche kein leichter Prozess und er ist sicherlich auch mit Rückschlägen verbunden. All diese Aspekte lässt Homeland in seiner ersten Staffel außen vor, meiner Meinung nach auf Kosten der Glaubwürdigkeit der Serie. Auf der anderen Seite werden den Charakteren auch teilweise in meinen Augen unnötige Wesenszüge verpasst. So muss eine CIA-Agentin auf der Suche nach der Wahrheit nicht unbedingt manisch-depressive Züge haben, um den Konflikt mit ihren Kollegen zu verstärken.

Von der reinen filmischen Qualität der Bilder würde ich die Serie am ehesten mit 24 vergleichen, wobei ich 24, trotz zugegebenermaßen unrealistischerer Storyline und noch mehr Plottwists, nach wie vor für die bessere Serie halte.

Kiefer Sutherland habe ich den toughen Jack Bauer sofort abgekauft. Bei Homeland finde ich die schauspielerischen Leistungen sowohl von Damian Lewis wie auch von Claire Danes nicht restlos überzeugend. Es gibt mittlerweile auch einfach viele überragende Seriendarsteller. Es mag sein, dass es das Fangirl ist, das aus mir spricht, aber dennoch kann ich mich dem Eindruck nicht erwehren, dass Bryan Cranston in Breaking Bad mehr schauspielerische Leistung zeigt – oftmals nur in einem Blick – als die Darsteller in Homeland in einer ganzen Szene. Das ist aber eben nur meine persönliche Meinung.

Ich bitte an dieser Stelle ausdrücklich darum, mich nicht falsch zu verstehen. Homeland ist keine absolut schlechte Serie. Die Idee dahinter ist und bleibt spannend und für amerikanische Verhältnisse vielleicht auch revolutionär und preisverdächtig. Sicherlich werde ich mir auch die zweite Staffel ansehen. Ich bin gespannt, wie man das Ganze weiterentwickelt. Soweit ich weiß wird Brody zum Doppelagenten und dieses Thema bietet durchaus einiges an Potenzial. Ich halte Homeland jedoch nicht für so überragend, wie es oftmals dargestellt wird und den Medienhype halte ich für übertrieben. Breaking BadThe Sopranos oder Dexter, nur um ein paar Beispiele zu nennen, sind als Serien in meinen Augen Homeland weit überlegen.

Was für Überlegungen bei der Vergabe der ganzen Preise an Homeland eine Rolle spielten, weiß ich nicht. Es wäre ja auch irgendwie schwachsinnig über Jahre hinweg immer die gleichen Serien zu ehren. Vielleicht ist Homeland ja nun auch genug geehrt worden.

Ich würde es jedenfalls begrüßen, wenn spätestens im nächsten Jahr bei den Preisverleihungen wieder Platz für neue Serien ist. Die US-Serienlandschaft wird glücklicherweise immer spannender, denn es gibt immer mehr gute TV-Serien mit tollen Ideen und hochkarätigen Darstellern. Für Nachschub für Serienjunkies wie mich wird bestens gesorgt.