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Pausen für kleine Füße

Vor einigen Wochen, am 08. November 2014, war ein besonderer Tag. Genau ein Jahr zuvor begrüßte ich meinen von der Arbeit nach Hause kommenden Ehemann mit einem breiten Grinsen von einem Ohr zum anderen und den Worten „Wir bekommen Füße!“. Lange zuvor hatten wir uns schon gewünscht, dass kleine Babyfüße den Weg in unser gemeinsames Leben finden und unsere kleine Familie vervollständigen mögen. An jenem Datum war der Schwangerschaftstest dann endlich positiv.

Kleine FüsseInzwischen sind diese süßen Füße, mitsamt dem wunderbaren kleinen Minimenschen daran, bei uns eingezogen und machen uns zu tagtäglich glücklichen Eltern. Das wohl Witzigste ist, dass an besagtem Datum unser Sohn genau vier Monate auf der Welt war.

Dass jeder Mensch als Individuum geboren wird, das schärfte uns unsere äußerst kompetente und liebe Hebamme gleich nach der Geburt ein. Rasch habe ich erkannt, wie recht sie mit dieser Aussage hatte. Kein Baby ist wie das andere und es ist extrem wichtig für Eltern, die Bedürfnisse ihres schutzbefohlenen Erdenbürgers zu erkennen und ihnen bestmöglich nachzukommen. Unser Sohn hat einen extrem ruhigen Charakter. Hektik und Stress liegen ihm überhaupt nicht. Erstaunlicherweise stimmt vieles, was in seinem Babyhoroskop steht – selbst wenn man den Sternen nicht allzu viel Bedeutung beimisst (Link zur Babyhoroskop-Webseite von BabyCenter). Prinzipiell ist er ausgesprochen pflegeleicht und macht alles mit – von gelegentlichen Wachstums- und Entwicklungsschüben, die ganz normal sind und besonders anstrengende Zeiten mit viel Gequengel, allgemeiner Unlust sowie Unbehagen mit sich bringen, einmal abgesehen. Er freut sich über Ausflüge und darüber, mit mir zum Yoga (Rückbildungsyoga mit Baby) zu gehen. Allerdings genießt er anschließend jedes Mal spürbar eine Verschnaufpause zuhause, die ich ihm nur zu gerne gewähre.

Trotz des Ruhebedürfnisses was seine Umwelt anbelangt, stehen die Füße unseres Sohnes tagsüber nur selten still. Während seiner mittlerweile 20 Wochen außerhalb meines Bauchs hat er schnell begriffen, was es mit dem Wechsel zwischen Tag und Nacht auf sich hat und dass, solange die Sonne draußen für Helligkeit sorgt, alles viel zu interessant ist, um möglicherweise etwas zu verschlafen. Daher haben die Nickerchen zwischendurch rasant abgenommen und werden momentan nur noch in absoluten Notfällen gemacht, also wenn er die Augen gar nicht mehr aufhalten kann. Das führt dazu, dass er für gewöhnlich den ganzen Tag wach ist und ich entsprechend dauerbeschäftigt mit seiner Unterhaltung bin. Teilweise genügt es ihm, mich in seiner Babywippe sitzend oder auf einer Krabbeldecke liegend zu beobachten, wenn ich normalen Tätigkeiten im Haushalt nachgehe. So kann ich glücklicherweise zwischendurch ein paar Sachen erledigen. Hauptsache es passiert irgendetwas. Immerhin schläft der Sohnemann dafür des Nachts umso besser. 8 bis 10 Stunden Schlaf am Stück sind derzeit die Regel. Er schätzt sein Bett, seine gemütlichen Schlafsäcke und das abendliche Einschlafritual sehr.

Selbstverständlich kann und wird sich das alles wieder ändern, aber durch die actionreichen Tage pausiert gegenwärtig vieles in meinem Leben, was etwas mehr Zurückgezogenheit und Ausdauer bedarf, so zum Beispiel das Schreiben und das Konsolenspielen. Abends bin ich dazu meistens zu müde. Darüber hinaus muss man sich als Eltern stets ein wenig Zweisamkeit am Tag bewahren. Folglich passiert auch auf diesem Blog derzeit weniger als gewohnt.
Ich liebe meine Aufgaben als Mama und vermisse nichts. Morgens gibt es nichts Schöneres, als an das Babybettchen zu treten, in dem der Nachwuchs jeden Tag ganz entspannt mit langsamem Aufwachen beginnt und mit einem Ausdruck purer, echter Freude angelächelt zu werden. Mit ihm Zeit zu verbringen und zu spielen, bereitet mir allergrößte Freude. Ohne Zweifel kommt mein Sohn für mich immer an erster Stelle. Pausen für kleine Füße lege ich deshalb gerne und ohne Zögern ein.

Schließlich möchte ich nichts verpassen, in dieser Zeit, in der die Entwicklung so schnell voranschreitet und es für uns Eltern so viel zu lernen gibt. Es ist faszinierend, zu sehen, wie ausgeprägt bestimmte Vorlieben bereits in einem solch zarten Babyalter sein können. Besonders gut kann man dies bei Musik erkennen. In den ersten Wochen hörte unser Sohn am liebsten Entspannungsmusik mit Naturgeräuschen. Mittlerweile hat er seinen Geschmack erweitert. Unlängst suchte er sich das neue Album V von Maroon 5 (Link zum Album auf iTunes) als Untermalung für seinen Mittagsschlaf aus – sofern er denn gelegentlich einen solchen hält, beziehungsweise sich auf meinem Arm dazu überzeugen lässt, die Augen für circa 30 Minuten zu schließen. Ich bezeichne den Vorgang hier ausdrücklich als Aussuchen, denn als ich diese Musik zufällig hörte, entspannte er sich sofort und lauschte besonders intensiv. Meine Mutter erzählte mir oft, dass ich im gleichen Alter und lange darüber hinaus nur zu den Klängen von James Last eingeschlummert bin und diese Musik ebenfalls selbständig durch entsprechende Reaktionen gewählt hatte.

Wir alle sind eben glücklicherweise doch nie vollständig durch äußere Einflüsse formbar und kommen mit einem in mehrfacher Hinsicht ganz eigenen Kopf auf die Welt.

Nackte Tatsachen

Datingshows sind der große Renner im TV-Programm. Ihre Popularität reißt nicht ab und die Fantasie der Macher treibt immer neue Blüten. Nachdem Single-Frauen und -Männer bereits auf alle erdenklichen Arten um mögliche Partner vor laufenden Kameras geworben und sich rudelweise gut gekleidet um deren Gunst gestritten haben, lässt man bei RTL jetzt neuerdings die Hüllen fallen. Bei Adam sucht Eva – Gestrandet im Paradies (Link zur Beschreibung der Sendung auf rtl.de) wird ab sofort nackt gedatet, und die Presse springt voll darauf an. Zu kaum einer anderen Show habe ich in letzter Zeit mehr Meldungen in den sozialen Netzwerken gesehen. Dabei frage ich mich ernsthaft, warum das Interesse an nackten Tatsachen nach wie vor derart groß ist. Schaut man sich in den Innenstädten mit ihren großen Plakatwänden um, oder blättert durch diverse Modemagazine, wird auf vielen Anzeigen ohnehin fast nur noch das Nötigste bedeckt. Unbekleidete Menschen sollten daher keine derart ausufernden Reaktionen in der Öffentlichkeit mehr hervorrufen.

So freizügig und abgebrüht wie man sich in Deutschland gerne gibt, sind die meisten Menschen letzten Endes aber leider doch nicht. Im Heimatland der Freikörperkultur, in dem man nur zu gerne über die Bewohner Amerikas lächelt, wenn sie sich à la Nipplegate (Link zu Wikipedia) wieder einmal an einer entblößten Brust stören, ist man bei einem Thema geistig doch nicht wesentlich fortschrittlicher: dem Stillen in der Öffentlichkeit. Einen wunderbaren Beitrag, der die Brisanz des Themas auf satirische Weise behandelt, schrieb Bunmi Laditan jüngst auf huffingtonpost.de (Link zum Artikel).

Als frischgebackene Mutter kann ich angesichts der Tatsache, dass stillende Frauen in Cafés, Restaurants, in Parks oder in Einkaufszentren noch immer von vielen Vorbeigehenden seltsam von der Seite angesehen werden, nur den Kopf schütteln. Erstaunlicherweise wurde ich sogar im mit Frauen gefüllten Wartezimmer meiner Gynäkologin von einigen davon beim Stillen skeptisch betrachtet. Es ist doch nicht so, dass Mütter, die ihre Kinder auf diese Weise ernähren, exhibitionistisch und zum Ziel der Provokation bei jeder sich bietenden Gelegenheit fröhlich ihre Brüste entblößen. Frauen sollte es selbst überlassen sein, wie sie ihr Baby füttern – ganz davon abgesehen, dass es aufgrund von körperlichen Gegebenheiten nicht für jede eine Selbstverständlichkeit ist, überhaupt stillen zu können. Zu allem Überfluss ist es nicht nur in anderen Ländern, sondern auch in Deutschland möglich, dass Geschäftsinhaber von ihrem Hausrecht gebrauch machen und das Stillen in ihren Räumlichkeiten untersagen. Vorkommen soll dies erschreckenderweise noch immer des Öfteren.

Warum also gibt es kein Recht darauf, zu stillen wo man möchte? Viele Geschäfte gehen glücklicherweise bereits mit gutem Beispiel voran und bieten sehr schöne und gut ausgestattete Wickel- und Stillgelegenheiten an. Zum Austausch zwischen Müttern dazu, wo sich diese genau befinden, gibt es entsprechende Apps, wie BabyPlaces (Link zur Homepage). In meinen Augen wäre es dennoch zu begrüßen, wenn man die Querulanten per Gesetz ins Gebet nähme und sich nicht alleine auf die Netzgemeinde verließe. Denn wenn niemand mehr etwas dagegen sagen dürfte, wäre dies dem Sich-Einstellen einer Normalität bei diesem Thema sehr zuträglich. Wie schön wäre es, würden stillende Frauen grundsätzlich so beachtet werden, wie früher an der Universität der stadtbekannte Exhibitionist, der auf der Suche nach Aufmerksamkeit hin und wieder splitternackt durch das Audimax flitzte: nämlich gar nicht. Außerdem: Wer sich auf RTL Nackte beim unbeholfenen Anbandeln ansieht, der sollte nichts gegen eine möglicherweise kurz an der frischen Luft aufblitzende Brust haben, die zuerst ratzfatz hinter einem kleinen Köpfchen und danach wieder im BH verschwindet.

Ich persönlich möchte es jedenfalls nicht erleben müssen, aus einem Restaurant geworfen zu werden, nur weil ich meinem hungrigen Sohn seine Mahlzeit nicht verwehren will. Am liebsten stille ich in den eigenen vier Wänden. Das versteht sich von selbst. Allerdings möchte ich – gemeinsam mit meinem Baby – zugleich am öffentlichen Leben teilnehmen können, und zwar ohne mir Gedanken darüber machen zu müssen, was passieren könnte, wenn den Nachwuchs auf einem Ausflug unerwartet Heißhunger überkommt.

Information und Perfektion

Noch wird das familiäre Abendprogramm dank unserem gerade sechs Wochen alten Sohn täglich neu durcheinander gewirbelt. Zeit für DVDs haben wir seit der Geburt keine gefunden. Meistens ist es die Müdigkeit, die den Ehemann und mich am Ende des Tages zusammengesunken auf dem Sofa nur noch kurz durchs Fernsehprogramm schalten lässt. Bei einem dieser Durchgänge sind wir gestern Abend zeitweise bei der Sendung Odysso im SWR hängengeblieben. Die Folge hieß Der Traum vom perfekten Kind (Link zur Unterseite der Sendung auf swr.de) und behandelte Chancen und Risiken der Pränataldiagnostik.

Auch wir haben während meiner Schwangerschaft eine Nackenfaltenmessung sowie eine eingehende Untersuchung des mütterlichen Blutes machen lassen. Ausschlaggebend dafür, dass wir uns für diese für das Baby ungefährlichen Tests entschieden haben, waren Behinderungen in der weiteren Verwandtschaft meines Mannes. Die Chancen, Risiken und Probleme von derlei Analysen und ihren Ergebnissen behandelte die empfehlenswerte Sendung, die man in der Mediathek des SWR (Link zu Odysso in der SWR-Mediathek) sicher in Kürze ansehen kann, ausführlich und nahezu erschöpfend. Letztendlich müssen Eltern allesamt für sich und im Einzelfall entscheiden, ob sie derartige Untersuchungen durchführen lassen wollen. Immerhin sind diese nicht gerade günstig und müssen selbst gezahlt werden. Viel wichtiger noch: Die Entscheidungsverantwortung – und das ist mitunter eine große – liegt am Ende bei ihnen allein, wenngleich man stets bedenken sollte, dass das Ergebnis (noch) nicht in einem abschließenden Urteil, sondern lediglich in einer Wahrscheinlichkeitsberechnung besteht. In unserem Fall ist jenes bestmöglich ausgefallen, wofür ich nach wie vor unendlich dankbar bin.

Was uns beim Zuschauen im Fernsehen auffiel, war das korrekte und besonnene Handeln der Ärzte in unserem Fall. Sowohl bei meiner Gynäkologin, als auch bei dem Kollegen, der den speziellen 3D-Ultraschall zur Nackenfaltenmessung durchgeführt hat, sind wir ausführlich beraten und über die derzeit doch immer noch mit Vorsicht zu genießende Aussagekraft der Methoden aufgeklärt worden. Beide forschten mehrfach nach, ob wir mit dem Ergebnis – egal wie dieses ausfallen mochte – umgehen können und nichts überstürzen würden. Ein solches Verhalten ist unglaublich viel wert und nicht selbstverständlich. Ich kann mir gut vorstellen, dass viele Ärzte die bloßen Zusatzeinnahmen sehen, die Eltern zur Entscheidungsfindung lediglich mit Broschüren ausstatten und das Ergebnis am Ende knapp verkünden, statt es in Ruhe samt aller Möglichkeiten zum weiteren Vorgehen zu besprechen. Verunsicherte Eltern und Überreaktionen sind dann fraglos vorprogrammiert.

Zu oft habe ich in meinem Leben schlechte Erfahrungen mit Medizinern gemacht. Allen voran mit meinem Kinderarzt, der sich bei dem Kontakt mit mir stets auf die Behandlung beschränkt hat. Gesprochen hat er nur mit meinen Eltern. Auf Fragen und Wünsche meinerseits ist damals in keinster Weise eingegangen worden, weshalb ich mich bei den Untersuchungen stets ausgeliefert und machtlos gefühlt habe. In Kombination mit weiteren Vorfällen und einer ausgeprägten Phobie vor Nadeln entwickelte ich eine regelrechte Panik vor Weißkitteln. Beispielsweise gab es Ärzte, die entschieden haben, dass es für mich im Grundschulalter besser war, meinen an einem Herzinfarkt erkrankten und auf der Intensivstation liegenden Vater nicht zu besuchen. Dabei ging es nicht um eine Infektionsgefahr, sondern nur darum, dass ich die Schläuche und Maschinen nicht sehen sollte, an die er angeschlossen war. Niemand dachte daran, dass es für mich viel schlimmer war, vor der Türe warten zu müssen und nichts zu sehen, als meinem Vater in einer ungewohnten und auf den ersten Blick seltsamen Umgebung nahe sein und mich von seiner langsamen Genesung überzeugen zu können.

Durch den natürlichen Fluchtreflex bei Angst schnellt mein Blutdruck bis heute in jeder Praxis sofort in die Höhe. Dagegen tun kann ich nichts. Ich kann lediglich damit leben. Wegen dem weit verbreiteten Unverständnis für diese Reaktion, musste ich mir bereits mehrfach neue Ärzte suchen. Was zählt, ist gegenseitiges Vertrauen. Dabei gehe ich mittlerweile ganz offen mit meinem Problem um und habe mich zu einer mündigen Patientin entwickelt, die notfalls so lange nachfragt, bis ihr alle nötigen Auskünfte vorliegen. Viel wichtiger, als der bei Odysso propagierte Wunsch durch Information Perfektion herstellen zu können, ist es für mich nämlich zu jeder Zeit perfekt informiert zu sein und auf Basis dessen ganz individuell und höchstpersönlich die richtigen Entscheidungen treffen zu können.

Das optimale Maß an Information ist dabei in meinen Augen nicht immer gleich der Fülle aller noch so kleinen Details. Ich bin der Überzeugung, dass man überinformiert werden kann. So erging es mir bei einem Ultraschalltermin während der Schwangerschaft, bei dem festgestellt wurde, dass der Bauchumfang des Babys etwas größer als der Durchschnitt, aber trotzdem noch innerhalb der Perzentilenkurven war. Zweifellos ist es sinnvoll über eine alle Entwicklungen informiert zu sein. Allerdings ergoss meine Frauenärztin eifrig einen regelrechten Schwall an möglichen Diagnosen über mich, die man hätte treffen können, wenn dieser Zustand sich nicht geändert hätte – nur um alles beim nächsten Termin wieder zu relativieren. Die Verunsicherung meinerseits war entsprechend groß, obwohl ich mich innerlich stur weigerte, zu viel in etwas hineinzuinterpretieren, das sich doch im Normbereich bewegte. Letzten Endes – und genau so traf es zu – sind wir Menschen so verschieden und keiner von uns entwickelt sich gleich. Das gilt innerhalb und außerhalb des warmen Mutterbauchs. Meiner Meinung nach tritt Überinformation heutzutage immer häufiger auf. Von den absolut sinnvollen Fortschritten in der Medizin, den vielen beeindruckenden Möglichkeiten zur Diagnose und den unzähligen Wegen entsprechend früh zu reagieren und vorbeugend zu handeln abgesehen, gibt es von jeher Fälle, in denen weniger mehr ist.

Es kommt also auf die Situation und auf das Individuum an, welche Informationen wirklich benötigt werden und welche überflüssig sind, vor allem in Hinsicht auf medizinische Belange. Als Mutter werde ich darauf achten, dass mein Sohn was ihn betrifft immer gut informiert ist und ausschließlich von verständnisvollen Ärzten behandelt wird, die auf ihn eingehen – egal wie klein er ist – die ihn gewissenhaft beraten und die ein Gespür für den sinnvollen Umgang mit den ihnen vorliegenden Informationen haben. Aus Erfahrung weiß ich inzwischen, dass es solche gibt. Darüber hinaus rufe ich mir eine Tatsache immer wieder aufs Neue ins Gedächtnis: Kinder nehmen grundsätzlich mehr wahr als man denkt.

Das Juwel des Hauses

Hand

„Das Juwel des Himmels ist die Sonne, das Juwel des Hauses ist das Kind.“

So besagt ein chinesisches Sprichwort, dem ich nach den ersten vier Wochen als Mutter nur heftigst nickend zustimmen kann. An dieser neuen Aufgabe täglich wachsend wurde mein Leben durch meinen Sohn von der ersten Sekunde an unglaublich bereichert.

Im Vorhinein erahnen, was da genau auf mich zukommt, konnte ich nicht. Es gab sogar Zeiten in meinem Leben, da konnte ich mir nicht einmal vorstellen, ein eigenes Kind zu bekommen. Zeiten ändern sich bekanntlich, und im Laufe der Jahre ist vieles passiert, was mich hinsichtlich dieses Wunsches positiv beeinflusst hat – darunter schöne und weniger schöne Dinge. Schon tausendmal gehört, aber deshalb nicht weniger wahr: Stress hat auf ein solches Vorhaben keine förderliche Wirkung. Umso mehr habe ich mich gefreut, als ich in einer Phase des Umbruchs, in der sich allerhand zum Positiven gewendet hat, endlich schwanger wurde.

In den fast 40 Wochen, in denen ein neuer Erdenbürger in meinem Bauch heranreifte, fühlte ich mich prima. Von Beschwerden blieb ich weitgehend verschont. Bis auf gesteigerte Geruchsempfindlichkeit in der Anfangszeit, was bei meiner ohnehin schon sensiblen Nase in diversen Wegwerfaktionen von Kühlschrankinhalten resultierte, konnte ich keine über das Normalmaß hinausgehenden Wehwehchen verzeichnen – von einem meinem Perfektionismus geschuldeten, extrem ausgeprägten Nestbautrieb ganz abgesehen. Mit gelegentlich auftretendem Sodbrennen, hitzebedingten Wassereinlagerungen, mit dem Bauchumfang steigender Kurzatmigkeit und ähnlichem arrangierte ich mich. Beschweren wollte ich mich über diese normalen Veränderungen nie. Generell überwog stets die Vorfreude auf den kleinen Mitbewohner und ließ mich alle Ängste hintanstellen.

So viel wird heute über Schwangerschaft informiert, geschrieben und diskutiert, dass meiner Meinung nach sehr oft mehr Hysterie denn rationales Interesse beteiligt ist. Dem Internet und seinen sozialen Diskussionsplattformen sei Dank kann sich jeder allerorten als Experte aufführen, und die wirklichen Experten müssen mit entsprechender Mehrinformation dagegen halten, um Ihren Status zu verteidigen. Mir war stets klar, dass es Risiken gibt. Dennoch weigerte ich mich, mir ohne Anzeichen für Probleme den Kopf über diese zu zerbrechen. Dafür war mir die Zeit der Schwangerschaft zu kurz und zu kostbar. Teilweise fühlte ich mich regelrecht überinformiert, obwohl ich mich von Diskurs und Erfahrungsaustausch fernhielt. Gegen einen dieser im Volksmund salopp als „Hechelkurs“ titulierten Geburtsvorbereitungskurse entschied ich mich bewusst. Stattdessen ertüchtigte ich mich beim Yoga für Schwangere, bei dem ich in aller Ruhe Atemtechniken und andere Entspannungsübungen lernte.

Wie meine Hebamme sagte: „Wir kommen alle schon als Individuen auf die Welt.“ Darum sei keine Geburt wie die andere. Aus diesem Grund solle jede Frau am besten auf ihr Bauchgefühl hören und am Ende für sich entscheiden, wie sie sich auf dieses Ereignis vorbereitet. An diesen weisen Rat hielt ich mich und habe meinen Sohn schließlich spontan, relativ schnell, ohne PDA und mit Unterstützung durch homöopathische Medikamenten geboren. Über Sinn und Unsinn der Homöopathie will ich an dieser Stelle keine Debatte vom Zaun brechen. Ich persönlich habe bisher nur positive Erfahrungen damit gemacht, wenngleich ich von Natur aus sehr skeptisch bin. Außer Frage steht für mich hingegen die Wichtigkeit der Betreuung durch eine erfahrene Hebamme. Angesichts der aktuellen Kontroverse um deren Versicherung bleibt nur zu hoffen, dass diese Herausforderung nachhaltig gelöst wird. Ich hatte das Glück, eine der letzten Beleghebammen zu ergattern und empfinde einen durchgehenden Service für vor, während und nach der Geburt nach wie vor als die bestmögliche Variante. Was die Atemübungen anbelangt, scheint mir alles Training im Ernstfall sowieso größtenteils hinfällig und die Anleitung durch Menschen vor Ort viel wichtiger.

Illusionen machte ich mir zu keinem Zeitpunkt. Dass eine Geburt am Ende kein Spaziergang, sondern eine naturgewaltige Angelegenheit ist, war mir bewusst. Angesichts meiner durchaus nicht schmerzfreien Erfahrungen kann ich sagen, dass ich die meisten Horrorgeschichten über Wehen, Skalpell, Saugglocke, etc., denen ich mich trotz stoischer Ignoranz nicht entziehen konnte, zumindest in meinem Fall für übertrieben halte. Entgegen der landläufigen Meinung vergisst man zwar nicht, jedoch wiegt das wunderbare Endergebnis einfach alles auf. So konnte ich auf die vorsichtige Nachfrage meiner Hebamme, ob ich über die Geburt und darüber, dass es entgegen meines anfänglichen Wunschs doch keine Wannengeburt geworden ist, enttäuscht sei, mit einem klaren „Nein!“ antworten. Laut ihr gibt es etliche Frauen, deren romantische Vorstellungen und detailliert ausgearbeitete Geburtspläne bei Abweichungen von der Realität im Nachhinein zu großer Frustration führen. Dieses Aufmichzukommenlassen und das Herangehen mit gesundem Menschenverstand hat sich für mich eindeutig bewährt. Realitätsferne liegt mir einfach nicht.

Nun ist also alles neu, und obschon ich in diesen Wochen keine Abenteuer im Kino erlebe – weder mit den Transformers, noch den Guardians of the Galaxy oder Caesar und seiner Affenbande – ist mein Leben abenteuerlich genug. Immerhin bin ich für einen kleinen Menschen und dessen Wohlergehen verantwortlich und könnte mir keine bessere und erfüllendere Beschäftigung vorstellen. Das bedeutet gleichwohl nicht, dass mein Interesse an Filmen und TV-Serien gesunken ist. Wofür gibt es schließlich DVD und Blu-ray. Der erste Familienausflug in die Stadt führte mich bereits zum Comicshop, und auch das Videospielen werde ich nie sein lassen. Ich bin nach wie vor die Alte, selbst wenn ich mich nicht nur körperlich verändert fühle. Veränderungen gehören nun mal zum Leben. Das sehe ich an meinem Sohn, der jeden Tag völlig neue Erfahrungen für mich parat hält. In diesem Sinne blicke ich gespannt in die Zukunft und darauf, was mich in meiner neuen Funktion als Mama noch alles erwartet.

Die Kunst des Knotens

Es ist immer wieder erstaunlich, über welche Themen in den Medien – besonders in den Online-Medien – berichtet wird. Nicht alles, was im Internet publiziert wird, ist interessant. Viele Seltsamkeiten tummeln sich im Netz. An nicht wenigen kuriosen Berichten und Bildern bleibe ich regelmäßig hängen. Es ist sicher die kunterbunte Vielfalt im Netz, die auch große News-Seiten dazu inspiriert, das Interesse ihrer Leser mit auf den ersten Blick seltsam anmutenden Artikeln zu wecken, die näher betrachtet aber interessante Botschaften vermitteln. Hauptsache die Neugierde wird geweckt! So widmet sich Spiegel Online in einem lesenswerten Artikel dem Zusammenhang von Schuhen, Schnürsenkeln und Mathematik. (Quelle: Spiegel Online)

Zuerst faszinierte mich das Geschriebene, mehr noch weckte das letzte Bild der dazugehörigen Fotostrecke mein Interesse. Als ich den Text unter dem Bild las, traute ich meinen Augen kaum. Das Binden einer Schleife mag für den Außenstehenden nun nicht gerade ein spektakuläres Thema sein, über das es sich länger nachzudenken lohnt. Es gab diesbezüglich allerdings ein Erlebnis in meiner Kindheit, an das ich mich immer erinnern werde.

Es begab sich in den frühen Achtzigerjahren. Ich war im Kindergarten. Da die nette, verständnisvolle und für die Gruppe normalerweise zuständige Erzieherin aus irgendeinem Grund nicht zur Hand war, versuchte sich eine Vertreterin am täglichen Gruppenspiel im Stuhlkreis. Die resolute Dame mit der Absicht, den Kleinen an diesem Tag unbedingt etwas fürs Leben zu lehren, teilte an jedes Kind ein langes Band aus. Dieses musste im Sitzen um einen Oberschenkel gewickelt werden, auf dessen Oberseite eine Schleife gebunden werden sollte. In der Tat konnten einige Kinder sich noch nicht alleine die Schuhe zubinden. Dieser Zustand sollte nun für immer beendet werden.

Die Vertretungserzieherin zeigte langsam, wie das Schleifebinden ihrer Meinung nach richtig ging: Ein einfacher Knoten. Eine Schlaufe. Das andere Band um die Schlaufe herum. Durchziehen. Festziehen. Fertig. So musste das gemacht werden.

Dumm nur, dass ich nicht zu den Kindern gehörte, die keine Schleife binden konnten. Meine Mutter hatte mir schon längst beigebracht, meine Schuhe selbst zuzubinden, allerdings auf eine weniger komplizierte Art: Ein einfacher Knoten. Zwei Öhrchen (Schlaufen). Mit den Öhrchen einen weiteren einfachen Knoten binden. Festziehen. Fertig. Für mich als Kind ging das viel einfacher von der Hand, als die umständliche Wickelaktion mit anschließendem Durchziehen.

Zuerst versuchte ich der Verzieherin – in Anbetracht ihrer Sturheit sicher der passendere Ausdruck – zu erklären, dass es nicht nur eine Möglichkeit gab, musste mich argumentativ aber einem mehrfachen, profanen „Nein!“ geschlagen geben. Solche Situationen sollten mir im weiteren Leben – vor allem im Arbeitsleben – noch öfter begegnen. Sie wollte einfach nicht hören. Argumentieren zwecklos. Schließlich hatte sie sich zuvor penibelst zurechtgelegt, was sie an diesem Tag lehren wollte und es wäre ja unerhört, wenn sie sich da von einem kleinen Naseweis dazwischenfunken hätte lassen. Und wie sie es lehren wollte! Als es um das Leeren des Gruppenraumes am Ende des Vormittages ging, setzte sie kurzerhand fest, dass nur diejenigen Kinder aufstehen und gehen durften, die erfolgreich eine Schleife gebunden hatten.

Ein Mädchen neben mir verzweifelte an dem für Kinderhände komplizierten Knoten. Ich konnte das nicht mit ansehen und verweigerte mich zu dem Zeitpunkt innerlich schon aus purem Trotz dem Lerninhalt. Als die Verzieherin sich verzog und mir den Rücken zuwandte, da sie damit beschäftigt war, anderen Kindern ihre Wahrheit über schön gebundene Schleifen einzutrichtern, zeigte ich dem Mädchen geschwind meine Schleifentechnik. Sie begriff es sofort und freute sich. Verschwörerisch sah ich sie an und legte meinen Finger auf den Mund: „Pssst!“ Im nächsten Moment rief ich die sture Madam herbei und wir präsentierten ihr unsere Ergebnisse. Sie nickte erfreut und lobte obendrein die schönen, gleichmäßigen Schleifen. Dass diese anders gebunden worden waren, als von ihr vorgegeben, bemerkte sie auch mit prüfendem Blick nicht. Wir durften (endlich) gehen.

Jahre später stupste mich eines Tages bei einem Bummel in meiner Heimatstadt ein weibliches Wesen von der Seite an. „Hey! Ja! Du bist es!“ Ich war verwirrt. Wer war sie? Woher kannte sie mich? „Wir waren zusammen im Kindergarten! Du hast mir beigebracht, wie man Schuhe zubindet! Erinnerst du dich? Die Schleifen!“ Natürlich erinnerte ich mich an die Verzieherin, auch wenn ich inzwischen längst beide Schleifentechniken beherrschte. Aus dem Mund der jungen Dame folgte der erstaunlichste Satz der ganzen Geschichte: „Weißt du, ich binde meine Schuhe bis heute so zu!“ Ich war total baff und absolut gerührt. Weder den Tag im Kindergarten, noch das Wiedersehen werde ich jemals vergessen.

Zurück zum Foto auf Spiegel Online und dessen Beschreibungstext, in dem etwas von Kreuzknoten und Altweiberknoten steht, die miteinander verglichen werden. Beim Lesen ratterte es in meinem Hirn und da ich nicht sofort etwas mit den beiden Begriffen anfangen konnte, forschte ich nach. Wikipedia sei Dank (Links im Text) fand ich schnell heraus, was sich hinter den beiden Worten verbirgt und wo die Unterschiede liegen. Schleife ist eben doch nicht gleich Schleife! Die Methode, die mir meine Mutter als die einfachere beibrachte, die zwei kleinen Mädchen lange Erklärungen von einer sturen Frau ersparte, stellte sich am Ende doch als die eigentlich vorteilhaftere Schleife zum Schuhebinden heraus.

Der Wassermann

Abflüsse und Wasserrohre haben die Angewohnheit, manchmal komische Geräusche von sich zu geben. Sie gurgeln und gluckern vor sich hin, auch ohne ersichtlichen Grund. Als ich bei einem solchen Geräusch auf die Frage des Ehemannes, was das denn gerade gewesen sei, mit „Der Wassermann!“ antwortete, schaute er mich verdutzt an. „Ja! Der Wassermann! Der lebt im Main!“ Sein Gesichtsausdruck wandelte sich zu völliger Verständnislosigkeit. Ich muss zugeben, dass mir die erste Aussage eher zufällig herausgerutscht war, ein Relikt aus frühen Kindertagen.

Als ich klein war haben meine Mutter und ich uns wahnsinnig gerne Geschichten ausgedacht. Auf die Idee mit dem Wassermann kam Mama eines Tages, als ich in der Badewanne saß und aus der Armatur ein Gluckern ertönte. „Das ist der Wassermann!“ sagte sie. Ich war gerade groß genug, um zu wissen, dass das nicht der Wahrheit entsprach, aber ich genoss es immer sehr, die Fantasie schweifen zu lassen. Also dachten wir uns die wildesten Storys um den Wassermann im Main aus. Schließlich gibt es im Rhein ja auch die schöne Nixe Loreley. Warum also sollte der Main nicht einen Wassermann haben? Wenn wir ganz still waren, konnten wir über die Brause mit ihm „telefonieren“ und hören, wie er von den Abenteuern erzählte, die er und seine Wasserfrau erlebt hatten. So fantasierten und erzählten wir stundenlang vor uns hin.

Der Wassermann ist nur ein Beispiel von vielen, bunten, fantastischen Dingen, die ich mir in meinem Leben schon zurechtgedacht habe. Fantasie ist etwas Großes, etwas Wichtiges. Ohne Fantasie ist die Welt trist, ganz egal wie bunt alle Blumen blühen und wie grell alle Reklametafeln leuchten. Ich für meinen Teil suche mir bis heute immer neue Ventile, durch die ich meiner Fantasie Ausdruck verleihen kann und neue Geschichten, mit denen ich sie beflügeln kann. Auf dass sie mich nie verlässt.

Nachdem ich dem Ehemann die Geschichte und die Herkunft meiner Äußerung erzählt hatte, verwandelte sich der verblüffte Gesichtsausdruck in ein breites Lächeln. Die Magie des Wassermannes zeigte Wirkung. Fantasie ist altersunabhängig, wir müssen sie uns nur bewahren, sie nähren und sie trainieren. Wo immer zu viel Tristesse uns einzuholen sucht, kann schon ein kleines bisschen Fantasie wahre Wunder wirken. Und wer weiß schon, wie viele aufregende Abenteuer des Wassermanns noch unerzählt sind? Wer ein offenes Ohr hat und fantastische Geschichten so sehr mag wie ich, der sollte beim nächsten Gurgeln im Wasserrohr doch einmal genauer hinhören …

Die Mischung macht’s

Kurz vor dem Einschlafen gehen mir die verschiedensten Dinge durch den Kopf. Vor einigen Tagen dachte ich darüber nach, wie sich unsere Sprache im Laufe des Lebens verändert, wie wir jeden Tag hinzulernen und sie anpassen. Die Einflüsse auf unsere individuellen Sprachgewohnheiten sind vielfältig, angefangen bei den Eltern über die Medien bis zu unseren Freunden und natürlich auch den Ehepartnern.

Ich wuchs in Aschaffenburg auf, einer schönen Stadt am Bayerischen Untermain. Meine Eltern bemühten sich beide möglichst Hochdeutsch mit mir zu sprechen. Sie sprachen stets viel mit mir, wofür ich im Nachhinein sehr dankbar bin und was sicher ein Grund dafür ist, dass ich nicht „auf den Mund gefallen“ bin. Ein bisschen Dialekt hat wohl fast jeder Mensch in seinem Sprachgebrauch. Meine Mutter kommt gebürtig aus Marktheidenfeld, das südöstlich von Aschaffenburg liegt und vom Dialekt her schon mehr zum Fränkischen als zum Hessischen tendiert. Auch Aschaffenburg selbst hat seine eigene Mundart, das sogenannte „Ascheberger Platt“. Zu meiner Grundschulzeit wurde dies in diversen Gedichten sogar extra vermittelt. Ein bekanntes Beispiel habe ich in der Literaturdatenbank Projekt Gutenberg bei Spiegel Online gefunden: Die Wermsche von Gustav Trockenbrodt. Der Dialekt meines Vaters war wohl größtenteils Ascheberger Platt, ist er doch in Aschaffenburg aufgewachsen. Im Aschaffenburger Dialekt vermischen sich Fränkisch und Hessisch, ist die Grenze zum benachbarten Bundsland doch nicht weit. Ganz so einfach wie ein Zusammenwürfeln von verschiedenen Worten ist das Ganze aber nicht. Man darf die sprachliche Vielfalt in der Region nicht unterschätzen. Der benachbarte Landkreis Main-Spessart hat eine Menge verschiedene Dialekte, die sich in feinen Nuancen unterscheiden. Meine Heimatstadt und die Menschen, mit denen ich im Laufe meiner Kinder- und Jugendzeit sprach, haben jede Menge Eindrücke hinterlassen. Viele Dinge haben Einfluss auf meinen Sprachgebrauch genommen. Herkunft und Heimat sind wohl bei allen von uns die ersten wichtigen, sprachlichen Einflussfaktoren.

Der größte „Clash der Kulturen“ und damit auch der Sprache, zumindest der deutschen Sprache, ereignete sich für mich, als ich meinen Ehemann kennenlernte, einen echten Ostfriesen. Er lebte bis er mir begegnete schon einige Jahre in Hessen, der norddeutsche Einfluss ist sprachlich aber selbstverständlich bei ihm nicht wegzudenken. So lernte ich durch ihn viele neue Begrifflichkeiten. Meine Oma bewahrte Süßigkeiten bei sich in einer „Süßschublade“ auf. Dank dem Ehemann erfuhr ich, dass man zu süßen Leckereien auch „Schlickersachen“ sagen kann. Wenn etwas eilt, sagt er „Ward Tiet!“. Das alles sind nur kleine Beispiele aus der Vielfalt an neuen Wörtern, die ich dank ihm gelernt habe und auch ich kann ihn bis heute manchmal mit einzelnen Ausdrücken oder Redewendungen überraschen. Mit großen Augen schaute er mich vor ein paar Monaten an, als ich sagte „Man muss auch mal ab- und zugeben können“ und auch das Wort „liedschäftig“, als Adjektiv für etwas Altersschwaches, etwas Abgenutztes, war ihm nicht geläufig.

Ich finde sprachliche Unterschiede und Eigenheiten schon immer interessant und kann viele deutsche Dialekte verstehen, inklusive Bayerisch – auch wenn ich immer wieder gerne betone, dass ich aus Unterfranken und nicht aus dem tiefsten Bayern stamme. Dennoch gibt es eine Variante des Deutschen, die mir wohl für immer ein Rätsel bleiben wird, nämlich Plattdeutsch. Der Ehemann kann es verstehen. Er hat sogar noch etwas davon in der Schule gelernt. Ich hingegen kann nur Bruchstücke erahnen, wenn sein Großvater in Emden Witze auf Mundart erzählt. Selbstverständlich lache ich höflich mit. Im Plattdeutschen vermischt sich das Deutsche mit dem Niederländischen und die Begrifflichkeiten sind teilweise so eigen, dass man bestimmte Vokabeln eben kennen muss, um alles wirklich verstehen zu können. Vielleicht komme ich ja mit der Zeit noch ein wenig mehr dahinter. Die angeheiratete Verwandtschaft wird es möglich machen.

Wir alle sind das Produkt der gesammelten Einflüsse, die auf uns wirken. Die Sprache ist der Bereich, in dem dies unmittelbar zum Ausdruck kommt. Gerade deshalb sind wir alle auch so einzigartig. Besonders deutlich wird dies auch, wenn man in die Familien schaut, die kleinen Lebensgemeinschaften, in denen wir uns ungehemmt und am natürlichsten bewegen. Jede Familie entwickelt ihre ganz eigene Umgangssprache, die Familiensprache. Hier mischen sich alle Eigenheiten zu einem ganz neuen Konstrukt. Jeder bringt etwas von sich ein. Die Familiensprache ist der Geburtsort von Kosenamen und allerlei neuen Wortschöpfungen. Viele davon dringen nicht in die Öffentlichkeit vor.

In meiner Familie hat sich beispielsweise für „Gute Nacht!“ ein Kurzausdruck verankert. Ich weiß nicht genau, wo er herkam, mutmaßlich ist er irgendwie aus „Gut’s Nächtle!“ und der Kurzform „Nacht!“ mutiert. Meine Eltern und ich, wir wünschten uns jedenfalls statt des förmlichen „Gute Nacht!“ immer nur kurz „Nächti!“. Nach einem im ersten Moment verwirrten Blick des Mannes, nachdem ich ihm irgendwann wie selbstverständlich mit diesem Wort eine gute Nacht wünschte, gefiel ihm dieser Ausdruck so gut, dass wir ihn schon lange in unsere eigene Familiensprache aufgenommen haben. Dieser Ausdruck war die gedankliche Initialzündung dafür, dass ich kurz vor dem Hinwegdämmern ins Land der Träume plötzlich über sprachliche Eigenheiten nachdachte.

Seltsam, wo einen die Gedanken manchmal hinführen. Oft kommen interessante Überlegungen eher zufällig. Ich bin kein Sprachwissenschaftler, aber ich mag es, mich mit Sprache zu beschäftigen. Ich lese und spreche und schreibe gerne. Das Thema „Sprache“ ist so weitläufig und diffizil, besonders wenn man verschiedene Sprachen und deren Eigenheiten und Herkunft analysiert. Es genügen aber schon einige wenige Gedanken über eine einzige Sprache, um sich darüber klar zu werden, dass unsere Sprache ein wichtiges Instrument ist, über das wir uns unterscheiden und definieren. Sprache lebt und verändert sich, jeden Tag, ein Leben lang, wobei sie sich nicht notwendigerweise über das gesprochene Wort definiert. Sprache muss gepflegt werden, in all ihren Äußerungsformen. Sprache ist wertvoll.

Manchmal kommen sie wieder

„Du wirst es nicht glauben, was ich letzte Woche in einer Buchhandlung gesehen habe!“ begann meine Mutter am Telefon ein neues Thema. Ich tippte im Geiste auf irgendetwas das die Buchreihe „A Song of Ice and Fire“ betrifft, die ich mittels Weihnachtsgeschenk erfolgreich an sie herangetragen habe. Aber weit gefehlt! „Sie sind wieder da!“ frohlockte Mama weiter. Ganz im Gegensatz zu düsterer Fantasy ging es um etwas sehr Buntes und Lustiges. Nach einem verwirrten Grunzlaut meinerseits löste sie das Rätsel endlich auf: „Die kleinen Büchlein über die Damen und Herren gibt es wieder!“

Diese Nachricht zauberte sofort ein Lächeln auf mein Gesicht, ging es doch um die Kinderbuchreihe Unsere kleinen Damen und Herren von Roger Hargreaves (Links zu Wikipedia), jene Serie von kleinen, quadratischen Büchern, die ich als Kind so verehrte. Ich habe sie alle gesammelt, vom ersten bis zum letzten Büchlein und ich habe sie heute noch. Die kleinen Damen und Herren schlummern in einer großen Kiste im Keller, bereit zum richtigen Zeitpunkt hervorgeholt und der nachfolgenden Generation vorgelesen zu werden.

In Großbritannien sind die „Mister Men and Little Miss“, so lautet der Original-Titel der Serie, seit ihrem ersten Erscheinen Kult. Es gibt nicht nur die Bücher, sondern auch Spielsachen in verschiedensten Ausprägungen, Formen und Größen. Wer in England in ein Spielwarengeschäft geht, der kommt um die Figuren des britischen Kinderbuchautors und -illustrators nicht herum. Auf der offiziellen Webseite feiern die kleinen Damen und Herren gerade ihr vierzigstes Jubiläum. Mutmaßlich ist dieses auch der Grund dafür, dass man sich nun in unseren Landen an einer Neuauflage versucht.

Versuchen? Ja, ich nenne es lieber so. Wie meine Mutter in unserem Gespräch später leicht konsterniert feststellte, hat man nämlich die Namen der lustigen Figürchen einfach geändert, sie modernisiert. Im Jahr 2013 halten unnötige Anglizismen fröhlich Einzug in die Kinderzimmer. Dass wir heute ohne verenglischte Sprache kaum mehr auskommen, ist mir klar. Ich selbst komme oft nicht mehr ohne aus. Dank Werbung ruft es quasi Anglizismen von jeder Straßenecke. Sprache lebt, Sprache verändert und vermischt sich. Das ist auch in gewissem Maße wichtig und richtig so. Die ursprünglichen Übersetzungen der Geschichten der kleinen Damen und Herren waren allerdings so liebevoll, dass man in diesem Fall getrost ohne auskommen könnte.

Nach dem Telefonat musste ich mich natürlich sofort selbst vergewissern, was da los war. Ein kurzer Blick auf Amazon bestätigte, weshalb meine Mutter schon in der Buchhandlung die Stirn runzelte: Unser Herr Killekille heißt nun Mister Kitzel. Warum „Mister“ und nicht mehr „Herr“? Und warum nur langweilig „Kitzel“? Im Original heißt er „Mister Tickle“, ja, aber in meinen Augen war „Herr Killekille“ definitiv die schönere Übertragung ins Deutsche. Auch die restlichen Damen und Herren haben ein sprachliches „Makeover“ verpasst bekommen, eines schlimmer als das andere. Herr Dussel wurde zu Mister Dämlich, wobei „dämlich“ einen furchtbar negativen Beigeschmack hat. Das hat er wirklich nicht verdient. Aber es geht noch dämlicher, denn Herr Schussel wurde zu Mister Aua. Den kleinen Damen ergeht es nicht besser als den Herren. Rosi Rundlich wurde zu Miss Vielfraß, Sofie Säuberlich zu Miss Tipptopp. Es sind Kinderbücher, ja, aber das sollte für Übersetzer kein Freibrief für puren Schwachsinn sein. Auch sollten Treue und Respekt zum Original keine Entschuldigung für Wortverbiegungen sein.

So sehr ich mich freue, dass auch die Kinder, deren Eltern die kleinen Büchlein nicht aufgehoben haben, nun die Chance haben, in den Genuss dieser unglaublich lehrreichen und gleichzeitig wahnsinnig charmanten und lustigen Geschichten zu kommen, so sehr ärgern mich die neuen Namen. Ich werde meine Sammlung deshalb nun noch mehr in Ehren halten. Man kann es mit den Anglizismen auch übertreiben. Die Bücher waren perfekt so wie sie waren und auch wenn ein Rechtewechsel oder Verlagswechsel zur Neuauflage oder irgend etwas anderes der Grund für die Neuübersetzung war, hätte man sich dennoch näher an die ursprüngliche Übertagung ins Deutsche halten können.

Es ist stets ein schmaler Grad, auf dem sich Übersetzungen bewegen, die das Original möglichst genau wiedergeben wollen. Immer mehr herrscht heute der teilweise sture und hirnlose Zwang vor, sich an das Original zu klammern. Ich werde das Gefühl nicht los, dass man noch vor einiger Zeit für vieles, was nicht auf Anhieb passte, kreativere Auswege gesucht hat, auch bei Filmen. So geht mir der unsägliche Satz aus „Iron Man 2“ nicht aus dem Kopf, als Iron Man seinen (ebenfalls in einer Kampfrüstung befindlichen) Gegner in der deutschen Fassung fragt „Du willst eine War Machine sein?“ (Original: „You want to be a War Machine?“), nur damit der indirekte Verweis auf den Namen des Helden im Comic „War Machine“ nicht verloren geht. Es gibt unzählige weitere Beispiele. Heraus kommen krampfige Übersetzungen, denen man den verlorengegangenen Wortwitz noch stärker anmerkt. Deshalb lese und schaue ich wo es geht immer lieber das Original.

Bei Kinderbüchern ist das natürlich eine andere Sache. Für die kleinen Damen und Herren würde ich mir jedenfalls wünschen, dass man für die nächste Auflage die Übersetzung noch einmal überdenkt. Wer die alte Version nicht kennt, wird sich vielleicht weniger daran stören, ich allerdings bleibe dabei: Die alte Übersetzung der Namen war die bessere.

Nichtsdestotrotz kann ich die kleinen Damen und Herren allen Eltern ans Herz legen. In meinem Kopf haben sie sich festgesetzt. Was habe ich mit meinen Eltern gelacht, wenn Herr Killekille einfach Leute durchkitzelt, wenn Herr Neugierig überall seine Nase hineinsteckt und sich die Nachbarin mit einer Wäscheklammer wehrt, oder wenn Herr Schussel versucht, sich nicht mehr überall zu stoßen. Jede einzelne der Figuren von Roger Hargreaves ist das Extrem von einer nur allzu menschlichen Eigenschaft. Einen Teil von sich wird jeder in fast allen von ihnen wiedererkennen. Für mich bleibt dies eine der schönsten Kinderbuchreihen aller Zeiten.

Meine Ausführungen zu diesem Thema möchte ich mit einem denkwürdigen, vielsagenden und ambivalent einsetzbaren Satz von Wendi Wirrwarr beenden, der mir noch heute des Öfteren und bei den verschiedensten Gelegenheiten durch den Kopf spukt:
„Und es ist doch Hackfleisch.“

Die Zeit

Die Zeit ist ein seltsames Ding. Sie begleitet uns jeden Tag. Sie läuft ab. Unermüdlich.

Tick tack. Tick tack.

Im Laufe der Zeit ändert sich Vieles. Jüngst fiel mir auf, wie schnell ich mich nach der Hochzeit doch an meinen neuen Nachnamen gewöhnt habe. Es gab Zeiten, da konnte ich mir nicht mal vorstellen, meinen Nachnamen zu ändern. Mit der Zeit stellte ich allerdings fest, dass ich in meinem Herzen was das Thema Familie anbelangt eher konservativ eingestellt bin. Aber selbst als ich mich für den neuen Nachnamen entschieden hatte, befürchtete ich, es würde länger dauern, bis der mir in Fleisch und Blut übergegangen ist und es würden sicher einige Missgeschicke am Telefon oder beim Unterschreiben passieren.

Aber nichts dergleichen passierte. Schneller als manch anderer um mich herum, gewöhnte ich mich an den neuen Namen. Nicht ein Mal meldete ich mich falsch am Telefon. Ein Grund für die schnelle Umgewöhnung ist natürlich, dass ich im Alltag einfach nur noch mit dem neuen Namen angesprochen wurde und sofort damit umgehen musste. Dennoch vermutete ich, es würde länger dauern.

Denke ich darüber nach, ist das Ganze schon es etwas verwirrend, aber verbunden mit einem sehr guten Gefühl. Dem Gefühl, dass es nun einfach so ist, wie es ist, und dass es richtig so ist.

Einiges allerdings ändert sich nicht. Einiges lasse ich die Zeit auch nicht ändern. So zum Beispiel meine Begeisterung, meine Neugier und mein Interesse für viele Dinge. Gibt man mir eine Transformers-Figur oder ein Superheldencomic in die Hand, wird mein Herz immer höher schlagen, egal wie alt ich bin, egal wie mein Nachname lautet und egal wie viel Zeit vergangen ist.

Manche Dinge können sich ruhig ändern, andere nicht. Die Zeit begleitet uns jeden Tag. Sie nagt, sie arbeitet, sie ändert, aber eben nicht alles und das ist irgendwie auch beruhigend.

Erinnerungen

Erinnerungen sind wertvoll. Sie sind das, was uns von schönen Erlebnissen oder Personen bleibt, auch wenn diese schon lange vergangen oder fort sind. Oftmals wissen wir den Wert von Erinnerungen erst viel später zu schätzen. Dann ist es gut, dass sie da sind, in unseren Köpfen, bereit immer wieder hervorgekramt und mit anderen geteilt zu werden.

Erinnerungen sind genügsam. Sie nisten sich im Kopf ein und warten geduldig, bis sie gebraucht werden. Eines muss man allerdings machen, damit sie lebendig bleiben: man muss ihnen ab und zu Aufmerksamkeit schenken, nur ein wenig, gerade genug um sich zu vergewissern, dass sie noch da sind. Werden sie zu sehr vernachlässigt, drohen die Erinnerungen in einen tiefen Schlaf zu fallen und zu verblassen. Das sollte man bei schönen Erinnerungen nicht zulassen.

So halte auch ich die Erinnerungen in meinem Kopf wach. Dazu gehören zum Beispiel die an meinen Vater, der durch einen Unfall viel zu früh aus dem Leben gerissen wurde. Er war ein großartiger Mensch. Ja, er hatte seine Ecken und Kanten und Macken und seltsamen Angewohnheiten, aber die hat jeder Mensch. Am Ende ist es auch nicht das, was zählt. Was zählt, sind die schönen Erinnerungen an die gemeinsamen Erlebnisse und Gespräche, von denen wir eine Menge hatten.

Manchmal ist es schwer solche Erinnerungen hervorzukramen, denn das kann verdammt weh tun. Die Zeit heilt, entgegen der landläufigen Meinung, nämlich nicht einfach alles. Man lernt nur mit der Zeit mit den Gegebenheiten umzugehen und sich mit einigen Dingen abzufinden. Die Erinnerungen aber müssen genährt werden und ich werde sie wach halten.

So wurde es mir auch vorgelebt. Eine meiner Großmütter lernte ich nie kennen, aber durch viele Erzählungen und Fotos habe ich ein ziemlich genaues Bild von ihr vor Augen. Nach dem, was ich über sie weiß, hätte sie gerne kennengelernt.

Meine Erinnerungen sind da und ich werde sie aufbewahren und wach halten, damit ich sie bei Bedarf durch meine Worte mit anderen teilen kann. Sie werden keine Chance haben, sich einfach zu verdrücken.