Archiv für den Monat Oktober 2018

Lachflash und Kulturclash

Die Legende vom Schneemenschen im Himalaya ist alt. Lange hat man nichts mehr vom Yeti gehört. Sein Mysterium wirkt mittlerweile geradezu entzaubert. Für die Animationsstudios von Warner Bros. Pictures, allen voran für Autor und Regisseur Karey Kirkpatrick, schien es deshalb höchste Zeit zu sein, dem alten Märchen neues Leben einzuhauchen. Herausgekommen ist Smallfoot (Link zu IMDB), ein herzerfrischender Film für die ganze Familie, der neben einer ordentlichen Portion Slapstick viel Aktualität enthält und mehr Bedeutung birgt, als man auf den ersten Blick meinen könnte.

Smallfoot erzählt die Geschichte des Yeti Migo, der aus Tollpatschigkeit zufällig einen Menschen beobachtet. Dabei gibt es die winzigen Wesen mit den filmtitelgebenden kleinen Füßen doch bloß in der Phantasie! So wiederholt es zumindest der Anführer des zurückgezogen lebenden Volks aus haarigen Giganten streng und mantraartig. Migos Geschichte will er gar nicht erst anhören. Die „Wahrheit“ ist buchstäblich in Stein gemeißelt. Migo ist sich allerdings ziemlich sicher, was er gesehen hat, und weigert sich, seine Darstellung der Geschehnisse vor dem Rest des Dorfes zwangsweise öffentlich zu widerrufen. Stattdessen macht er sich lieber auf den Weg, um Beweise für die Existenz des Smallfoot zu finden. Zu Hilfe eilt ihm dabei eine Gruppe wissbegieriger Gleichgesinnter, die den alten Dichtungen von der Welt und davon, wie diese angeblich funktioniert, schon lange keinen Glauben mehr schenken und sich stattdessen durch Ausprobieren und Erfahren selbst ein Bild machen wollen. Unter der ewigen Wolkendecke, die den Gipfel des höchsten Berges und damit die Heimat der Yetis umgibt, findet Migo schließlich nicht das angeblich dort befindliche Nichts, sondern eine völlig neue Welt. Dort trifft er auf den Tierfilmer und ehemaligen Social-Media-Star Percy Patterson, der mittlerweile nur noch leidlich erfolgreich, hoch verschuldet und auf der Suche nach einer Geschichte ist, die seiner Karriere neuen Schwung verleihen kann. Nach anfänglichen Verständigungsproblemen und aus ungleichen Motiven freunden sich die beiden an und kehren zusammen in Migos Heimat zurück. Das ist der Anfang von einem gewaltigen Kulturclash, der den Himalaya von den Bergspitzen bis ins Tal kräftig erschüttert und von dem kein Bewohner der Bergwelt, unabhängig von seiner Fußgröße, verschont bleibt.

Oberflächlich betrachtet könnte man sich als Zuschauer in Anbetracht der vielen Gags – Migo kriegt von verschiedenen Seiten oftmals eins auf den fellbewachsenen, gehörnten Yetischädel und stolpert munter durch die Schneelandschaft – einfach von einem Lachflash zum nächsten tragen lassen. Doch das allein würde dem Film nicht gerecht, der inhaltlich viel mehr zu bieten hat. Ähnlich wie in den Werken von Illumination Entertainment (z.B. Ich – Einfach unverbesserlich, Link zu IMDB) hat es das Team von Warner Bros. Animation geschafft, in Smallfoot eine facettenreiche Story mit einer Menge Wahrheit und Tiefgang zu erzählen. Die lustig anmutenden, nasenlosen, riesenhaften Gipfelbewohner müssen sich mit brandaktuellen Themen rund um kulturelle Abschottung auseinandersetzen. Feinfühlig wird darauf verwiesen, in welche Sackgassen des Denkens man gelangt, wenn man sich von Neugier, Wissenschaft und Fakten abwendet und krampfhaft versucht, aus Angst vor Veränderung, den Satus quo zu bewahren. Auf der Seite der Menschen wird Percy Patterson mit den Verlockungen des Internets, der Vergänglichkeit von Berühmtheit und dem wahren Wert von Freundschaft konfrontiert. In der heutigen Zeit kann es keine wichtigere Botschaft geben, als die für mehr Offenheit und ein gutes Miteinander. Alles, was bei flüchtiger Beurteilung fremd, seltsam und unverständlich erscheinen mag, verdient es, dass man genauer hinsieht und hinhört – auch wenn man durch das, was man dadurch erkennt, möglicherweise gezwungen wird, sein bisheriges Weltbild komplett auf den Kopf zu stellen.

Nicht nur story-, sondern auch animationstechnisch ist Smallfoot sehr gelungen. Obwohl wegen der weitläufigen Schneelandschaften und zerklüfteten Berge gestalterisch oftmals Ton in Ton gearbeitet werden musste, lässt der Detailreichtum keine Wünsche offen. Geschickt ist die Darstellung der Kommunikation zwischen Yeti und Mensch, denn die beiden Gruppen sprechen den ganzen Film über nicht die gleiche Sprache und müssen sich mit Gesten verständigen. Für die Zuschauer wechseln dabei der Blickwinkel und das sprachliche Verständnis je nach Szene. Die eingängigen, poppigen Songs von Karey und Wayne Kirkpatrick brauchen sich nicht hinter den Liedern aus diversen Disneyfilmen zu verstecken, und der von Heitor Pereira komponierte Score vervollständigt die passgenaue musikalische Untermalung.

Smallfoot hat mich rundum positiv überrascht und ist für alle Animationsfans – egal wie groß deren Füße sind – einen Kinobesuch wert.