Archiv für den Monat August 2014

Information und Perfektion

Noch wird das familiäre Abendprogramm dank unserem gerade sechs Wochen alten Sohn täglich neu durcheinander gewirbelt. Zeit für DVDs haben wir seit der Geburt keine gefunden. Meistens ist es die Müdigkeit, die den Ehemann und mich am Ende des Tages zusammengesunken auf dem Sofa nur noch kurz durchs Fernsehprogramm schalten lässt. Bei einem dieser Durchgänge sind wir gestern Abend zeitweise bei der Sendung Odysso im SWR hängengeblieben. Die Folge hieß Der Traum vom perfekten Kind (Link zur Unterseite der Sendung auf swr.de) und behandelte Chancen und Risiken der Pränataldiagnostik.

Auch wir haben während meiner Schwangerschaft eine Nackenfaltenmessung sowie eine eingehende Untersuchung des mütterlichen Blutes machen lassen. Ausschlaggebend dafür, dass wir uns für diese für das Baby ungefährlichen Tests entschieden haben, waren Behinderungen in der weiteren Verwandtschaft meines Mannes. Die Chancen, Risiken und Probleme von derlei Analysen und ihren Ergebnissen behandelte die empfehlenswerte Sendung, die man in der Mediathek des SWR (Link zu Odysso in der SWR-Mediathek) sicher in Kürze ansehen kann, ausführlich und nahezu erschöpfend. Letztendlich müssen Eltern allesamt für sich und im Einzelfall entscheiden, ob sie derartige Untersuchungen durchführen lassen wollen. Immerhin sind diese nicht gerade günstig und müssen selbst gezahlt werden. Viel wichtiger noch: Die Entscheidungsverantwortung – und das ist mitunter eine große – liegt am Ende bei ihnen allein, wenngleich man stets bedenken sollte, dass das Ergebnis (noch) nicht in einem abschließenden Urteil, sondern lediglich in einer Wahrscheinlichkeitsberechnung besteht. In unserem Fall ist jenes bestmöglich ausgefallen, wofür ich nach wie vor unendlich dankbar bin.

Was uns beim Zuschauen im Fernsehen auffiel, war das korrekte und besonnene Handeln der Ärzte in unserem Fall. Sowohl bei meiner Gynäkologin, als auch bei dem Kollegen, der den speziellen 3D-Ultraschall zur Nackenfaltenmessung durchgeführt hat, sind wir ausführlich beraten und über die derzeit doch immer noch mit Vorsicht zu genießende Aussagekraft der Methoden aufgeklärt worden. Beide forschten mehrfach nach, ob wir mit dem Ergebnis – egal wie dieses ausfallen mochte – umgehen können und nichts überstürzen würden. Ein solches Verhalten ist unglaublich viel wert und nicht selbstverständlich. Ich kann mir gut vorstellen, dass viele Ärzte die bloßen Zusatzeinnahmen sehen, die Eltern zur Entscheidungsfindung lediglich mit Broschüren ausstatten und das Ergebnis am Ende knapp verkünden, statt es in Ruhe samt aller Möglichkeiten zum weiteren Vorgehen zu besprechen. Verunsicherte Eltern und Überreaktionen sind dann fraglos vorprogrammiert.

Zu oft habe ich in meinem Leben schlechte Erfahrungen mit Medizinern gemacht. Allen voran mit meinem Kinderarzt, der sich bei dem Kontakt mit mir stets auf die Behandlung beschränkt hat. Gesprochen hat er nur mit meinen Eltern. Auf Fragen und Wünsche meinerseits ist damals in keinster Weise eingegangen worden, weshalb ich mich bei den Untersuchungen stets ausgeliefert und machtlos gefühlt habe. In Kombination mit weiteren Vorfällen und einer ausgeprägten Phobie vor Nadeln entwickelte ich eine regelrechte Panik vor Weißkitteln. Beispielsweise gab es Ärzte, die entschieden haben, dass es für mich im Grundschulalter besser war, meinen an einem Herzinfarkt erkrankten und auf der Intensivstation liegenden Vater nicht zu besuchen. Dabei ging es nicht um eine Infektionsgefahr, sondern nur darum, dass ich die Schläuche und Maschinen nicht sehen sollte, an die er angeschlossen war. Niemand dachte daran, dass es für mich viel schlimmer war, vor der Türe warten zu müssen und nichts zu sehen, als meinem Vater in einer ungewohnten und auf den ersten Blick seltsamen Umgebung nahe sein und mich von seiner langsamen Genesung überzeugen zu können.

Durch den natürlichen Fluchtreflex bei Angst schnellt mein Blutdruck bis heute in jeder Praxis sofort in die Höhe. Dagegen tun kann ich nichts. Ich kann lediglich damit leben. Wegen dem weit verbreiteten Unverständnis für diese Reaktion, musste ich mir bereits mehrfach neue Ärzte suchen. Was zählt, ist gegenseitiges Vertrauen. Dabei gehe ich mittlerweile ganz offen mit meinem Problem um und habe mich zu einer mündigen Patientin entwickelt, die notfalls so lange nachfragt, bis ihr alle nötigen Auskünfte vorliegen. Viel wichtiger, als der bei Odysso propagierte Wunsch durch Information Perfektion herstellen zu können, ist es für mich nämlich zu jeder Zeit perfekt informiert zu sein und auf Basis dessen ganz individuell und höchstpersönlich die richtigen Entscheidungen treffen zu können.

Das optimale Maß an Information ist dabei in meinen Augen nicht immer gleich der Fülle aller noch so kleinen Details. Ich bin der Überzeugung, dass man überinformiert werden kann. So erging es mir bei einem Ultraschalltermin während der Schwangerschaft, bei dem festgestellt wurde, dass der Bauchumfang des Babys etwas größer als der Durchschnitt, aber trotzdem noch innerhalb der Perzentilenkurven war. Zweifellos ist es sinnvoll über eine alle Entwicklungen informiert zu sein. Allerdings ergoss meine Frauenärztin eifrig einen regelrechten Schwall an möglichen Diagnosen über mich, die man hätte treffen können, wenn dieser Zustand sich nicht geändert hätte – nur um alles beim nächsten Termin wieder zu relativieren. Die Verunsicherung meinerseits war entsprechend groß, obwohl ich mich innerlich stur weigerte, zu viel in etwas hineinzuinterpretieren, das sich doch im Normbereich bewegte. Letzten Endes – und genau so traf es zu – sind wir Menschen so verschieden und keiner von uns entwickelt sich gleich. Das gilt innerhalb und außerhalb des warmen Mutterbauchs. Meiner Meinung nach tritt Überinformation heutzutage immer häufiger auf. Von den absolut sinnvollen Fortschritten in der Medizin, den vielen beeindruckenden Möglichkeiten zur Diagnose und den unzähligen Wegen entsprechend früh zu reagieren und vorbeugend zu handeln abgesehen, gibt es von jeher Fälle, in denen weniger mehr ist.

Es kommt also auf die Situation und auf das Individuum an, welche Informationen wirklich benötigt werden und welche überflüssig sind, vor allem in Hinsicht auf medizinische Belange. Als Mutter werde ich darauf achten, dass mein Sohn was ihn betrifft immer gut informiert ist und ausschließlich von verständnisvollen Ärzten behandelt wird, die auf ihn eingehen – egal wie klein er ist – die ihn gewissenhaft beraten und die ein Gespür für den sinnvollen Umgang mit den ihnen vorliegenden Informationen haben. Aus Erfahrung weiß ich inzwischen, dass es solche gibt. Darüber hinaus rufe ich mir eine Tatsache immer wieder aufs Neue ins Gedächtnis: Kinder nehmen grundsätzlich mehr wahr als man denkt.

Das Juwel des Hauses

Hand

„Das Juwel des Himmels ist die Sonne, das Juwel des Hauses ist das Kind.“

So besagt ein chinesisches Sprichwort, dem ich nach den ersten vier Wochen als Mutter nur heftigst nickend zustimmen kann. An dieser neuen Aufgabe täglich wachsend wurde mein Leben durch meinen Sohn von der ersten Sekunde an unglaublich bereichert.

Im Vorhinein erahnen, was da genau auf mich zukommt, konnte ich nicht. Es gab sogar Zeiten in meinem Leben, da konnte ich mir nicht einmal vorstellen, ein eigenes Kind zu bekommen. Zeiten ändern sich bekanntlich, und im Laufe der Jahre ist vieles passiert, was mich hinsichtlich dieses Wunsches positiv beeinflusst hat – darunter schöne und weniger schöne Dinge. Schon tausendmal gehört, aber deshalb nicht weniger wahr: Stress hat auf ein solches Vorhaben keine förderliche Wirkung. Umso mehr habe ich mich gefreut, als ich in einer Phase des Umbruchs, in der sich allerhand zum Positiven gewendet hat, endlich schwanger wurde.

In den fast 40 Wochen, in denen ein neuer Erdenbürger in meinem Bauch heranreifte, fühlte ich mich prima. Von Beschwerden blieb ich weitgehend verschont. Bis auf gesteigerte Geruchsempfindlichkeit in der Anfangszeit, was bei meiner ohnehin schon sensiblen Nase in diversen Wegwerfaktionen von Kühlschrankinhalten resultierte, konnte ich keine über das Normalmaß hinausgehenden Wehwehchen verzeichnen – von einem meinem Perfektionismus geschuldeten, extrem ausgeprägten Nestbautrieb ganz abgesehen. Mit gelegentlich auftretendem Sodbrennen, hitzebedingten Wassereinlagerungen, mit dem Bauchumfang steigender Kurzatmigkeit und ähnlichem arrangierte ich mich. Beschweren wollte ich mich über diese normalen Veränderungen nie. Generell überwog stets die Vorfreude auf den kleinen Mitbewohner und ließ mich alle Ängste hintanstellen.

So viel wird heute über Schwangerschaft informiert, geschrieben und diskutiert, dass meiner Meinung nach sehr oft mehr Hysterie denn rationales Interesse beteiligt ist. Dem Internet und seinen sozialen Diskussionsplattformen sei Dank kann sich jeder allerorten als Experte aufführen, und die wirklichen Experten müssen mit entsprechender Mehrinformation dagegen halten, um Ihren Status zu verteidigen. Mir war stets klar, dass es Risiken gibt. Dennoch weigerte ich mich, mir ohne Anzeichen für Probleme den Kopf über diese zu zerbrechen. Dafür war mir die Zeit der Schwangerschaft zu kurz und zu kostbar. Teilweise fühlte ich mich regelrecht überinformiert, obwohl ich mich von Diskurs und Erfahrungsaustausch fernhielt. Gegen einen dieser im Volksmund salopp als „Hechelkurs“ titulierten Geburtsvorbereitungskurse entschied ich mich bewusst. Stattdessen ertüchtigte ich mich beim Yoga für Schwangere, bei dem ich in aller Ruhe Atemtechniken und andere Entspannungsübungen lernte.

Wie meine Hebamme sagte: „Wir kommen alle schon als Individuen auf die Welt.“ Darum sei keine Geburt wie die andere. Aus diesem Grund solle jede Frau am besten auf ihr Bauchgefühl hören und am Ende für sich entscheiden, wie sie sich auf dieses Ereignis vorbereitet. An diesen weisen Rat hielt ich mich und habe meinen Sohn schließlich spontan, relativ schnell, ohne PDA und mit Unterstützung durch homöopathische Medikamenten geboren. Über Sinn und Unsinn der Homöopathie will ich an dieser Stelle keine Debatte vom Zaun brechen. Ich persönlich habe bisher nur positive Erfahrungen damit gemacht, wenngleich ich von Natur aus sehr skeptisch bin. Außer Frage steht für mich hingegen die Wichtigkeit der Betreuung durch eine erfahrene Hebamme. Angesichts der aktuellen Kontroverse um deren Versicherung bleibt nur zu hoffen, dass diese Herausforderung nachhaltig gelöst wird. Ich hatte das Glück, eine der letzten Beleghebammen zu ergattern und empfinde einen durchgehenden Service für vor, während und nach der Geburt nach wie vor als die bestmögliche Variante. Was die Atemübungen anbelangt, scheint mir alles Training im Ernstfall sowieso größtenteils hinfällig und die Anleitung durch Menschen vor Ort viel wichtiger.

Illusionen machte ich mir zu keinem Zeitpunkt. Dass eine Geburt am Ende kein Spaziergang, sondern eine naturgewaltige Angelegenheit ist, war mir bewusst. Angesichts meiner durchaus nicht schmerzfreien Erfahrungen kann ich sagen, dass ich die meisten Horrorgeschichten über Wehen, Skalpell, Saugglocke, etc., denen ich mich trotz stoischer Ignoranz nicht entziehen konnte, zumindest in meinem Fall für übertrieben halte. Entgegen der landläufigen Meinung vergisst man zwar nicht, jedoch wiegt das wunderbare Endergebnis einfach alles auf. So konnte ich auf die vorsichtige Nachfrage meiner Hebamme, ob ich über die Geburt und darüber, dass es entgegen meines anfänglichen Wunschs doch keine Wannengeburt geworden ist, enttäuscht sei, mit einem klaren „Nein!“ antworten. Laut ihr gibt es etliche Frauen, deren romantische Vorstellungen und detailliert ausgearbeitete Geburtspläne bei Abweichungen von der Realität im Nachhinein zu großer Frustration führen. Dieses Aufmichzukommenlassen und das Herangehen mit gesundem Menschenverstand hat sich für mich eindeutig bewährt. Realitätsferne liegt mir einfach nicht.

Nun ist also alles neu, und obschon ich in diesen Wochen keine Abenteuer im Kino erlebe – weder mit den Transformers, noch den Guardians of the Galaxy oder Caesar und seiner Affenbande – ist mein Leben abenteuerlich genug. Immerhin bin ich für einen kleinen Menschen und dessen Wohlergehen verantwortlich und könnte mir keine bessere und erfüllendere Beschäftigung vorstellen. Das bedeutet gleichwohl nicht, dass mein Interesse an Filmen und TV-Serien gesunken ist. Wofür gibt es schließlich DVD und Blu-ray. Der erste Familienausflug in die Stadt führte mich bereits zum Comicshop, und auch das Videospielen werde ich nie sein lassen. Ich bin nach wie vor die Alte, selbst wenn ich mich nicht nur körperlich verändert fühle. Veränderungen gehören nun mal zum Leben. Das sehe ich an meinem Sohn, der jeden Tag völlig neue Erfahrungen für mich parat hält. In diesem Sinne blicke ich gespannt in die Zukunft und darauf, was mich in meiner neuen Funktion als Mama noch alles erwartet.