Archiv für den Monat Januar 2014

Der Wolf und sein Rudel

Für den ersten Kinobesuch im neuen Jahr entschied ich mich für Altmeister Martin Scorseses neuestes Werk über Einfluss, Gier und die Macht des Geldes. Dass der Regisseur dazu neigt, mit talentierten Schauspielern gleich mehrfach zusammenzuarbeiten und mitunter sehr fruchtbare Arbeitsbeziehungen aufzubauen, ist hinlänglich bekannt. So ist es Leonardo DiCaprio, der in The Wolf of Wall Street bereits zum fünften Mal unter der Anleitung des großen Filmemachers agiert. Die bewährte Mischung führt erneut zum gewünschten Ergebnis, einem bildgewaltigen Kinoerlebnis der besonderen Art.

Angelehnt an die Biografie des Börsenmaklers Jordan Belfort erzählt The Wolf of Wall Street den Aufstieg und Fall des begnadeten Verkaufsgenies, der auf seiner Suche nach Reichtum vor nichts zurückschreckt und sich gnadenlos seinen Weg von der Arbeiterschicht hin zur ausschweifenden Dekadenz in der Welt der Reichen und Schönen bahnt. Ob seine Methoden halb oder am Ende gar nicht mehr legal sind, stört ihn wenig, denn er ist der festen Überzeugung, dass Geld die ultimative Lösung für sämtliche Probleme ist, da man sich damit einfach alles kaufen kann. Leonardo DiCaprio verkörpert diesen von einer Spirale der Süchte getriebenen Charakter bravourös und lässt genau die richtige Mischung aus Spitzbübigkeit und Skrupellosigkeit erkennen. Den gewonnenen Golden Globe hat er in meinen Augen mehr als verdient. Seine Darbietung ist so großartig, dass er allein in der Lage wäre den Film zu tragen. Das muss er aber nicht, denn The Wolf of Wall Street ist bis in die kleinsten Nebenrollen hochkarätig und treffsicher besetzt. Nicht nur Jonah Hill geht in seiner Rolle als Belforts Geschäftspartner und engster Vertrauter, Donnie Azoff, auf. Auch Matthew McConaughey, dem ich ob seiner derzeitig viel zu mageren Figur zu gerne mal einen großen Hamburger spendieren würde, brilliert in seiner vergleichsweise winzigen Rolle als Mark Hanna, Belforts Mentor bei dessen erstem Job an der Wall Street. Ein weiteres Beispiel ist Jon Bernthal, der einen schrulligen Strohmann mit größter Perfektion für Details mimt. Er gehört für mich zu den aktuell vielversprechendsten und unverbrauchtesten Talenten Hollywoods und ich hoffe, dass man in Zukunft noch viel mehr von ihm sehen wird.

Stilistisch bedienen sich Regisseur Martin Scorsese und Drehbuchautor Terence Winter einem bunten Mix, der die komödiantischen Elemente unterstreicht, ohne den bitteren Unterton von Belforts Taten ungehört vorbeiziehen zu lassen. Mal kommentiert der Hauptcharakter das Geschehen auf der Leinwand aus dem Off, mal dürfen die Zuschauer direkt an den Gedanken verschiedener Protagonisten teilhaben und selbst die vierte Wand stellt kein Hindernis dar. Letzterer scheint in den Film- und Fernsehfabriken im Land der Unbegrenzten Möglichkeiten in den letzten Monaten eine immer größere Bedeutung zugemessen zu werden. Man denke nur an das subtile Einbeziehen des Betrachters in der zweifelsfrei sehenswerten TV-Serie House of Cards (Link zu IMDB). Leonardo DiCaprio spricht als Jordan Belfort weniger häufig direkt zu seinem Publikum, das Gefühl einer um die Beobachtung wissenden und sie gar genießenden Figur bleibt gleichwohl bestehen. So oft während der gesamten Spielzeit im Kinosaal lautes Lachen über die an Maßlosigkeit, Verantwortungslosigkeit und Lächerlichkeit kaum zu überbietenden Ausschweifungen des Gernegroß Belfort ertönt, so oft bleibt es den Beobachtern im Halse stecken. Egal wie sehr er es sich einreden möchte und egal wie groß das Rudel aus Brokern mit unerschöpflicher Geldgier ist, das der Wolf von der Wall Street mit der Zeit um sich schart: Mit Geld kann man eben doch nicht alles auf der Welt kaufen.

Lohnt es sich, eine Eintrittskarte für The Wolf of Wall Street zu lösen, um den Film auf der großen Leinwand zu genießen? Auf jeden Fall! Finden die Oscar-Nominierungen für dieses Werk meine Zustimmung? Ja, denn hier wird meiner Meinung nach weitaus mehr und leidenschaftlicher gespielt, als in Gravity (Link zu IMDB). Ob The Wolf of Wall Street mein ganz persönlicher Oscar-Favorit ist, darüber kann ich mir jedoch an dieser Stelle kein Urteil erlauben. Dazu habe ich (noch) zu wenige der ebenfalls nominierten Filme gesehen. Ganz ohne Schwächen kommt nämlich auch der große, böse Wolf über stolze 179 Minuten nicht ins Ziel. Bisweilen hätte ich mir weniger Orgien, mehr Einblicke in Belforts Privatleben sowie aussagekräftigere Auseinandersetzungen zwischen ihm und seinem Widersacher vom FBI, Agent Patrick Denham (Kyle Chandler), gewünscht. Im Großen und Ganzen liefern die Beteiligten aber allesamt eine bemerkenswerte und sehenswerte Leistung ab und machen The Wolf of Wall Street zu einem äußerst unterhaltsamen Start ins Kinojahr 2014.

Bis zum bitteren Ende

Vor etwas mehr als einem Jahr habe ich bereits darüber sinniert, wie unterschiedlich Geschichten zu Ende gebracht werden können. In meinem damaligen Artikel habe ich mich mit Beispielen quer durch die Medienlandschaft befasst. Auf zwei davon möchte ich nun noch einmal zurückkommen. Im vergangenen Jahr fanden nämlich mit Breaking Bad und Dexter von mir sehr geschätzte TV-Serien ihren Abschluss. Inzwischen habe ich restlos alle Folgen von beiden gesehen. Zeit, die Spekulationen und Wünsche von einst mit den tatsächlichen Ergebnissen zu vergleichen und mich gebührend von den schillernden Hauptcharakteren zu verabschieden.

Da ich bei meiner Betrachtung nicht auf Details aus den finalen Staffeln verzichten kann, spreche ich an dieser Stelle eine ausdrückliche

!!! SPOILERWARNUNG !!!

aus. Wer die beiden Serien vollkommen unbeeinflusst schauen möchte, oder noch nicht an deren jeweiligen Ende angekommen ist, der sollte nicht weiterlesen. Alle, die sowohl Walter White als auch Dexter Morgan bereits bis zum Ende ihrer Abenteuer begleitet haben, sind herzlich eingeladen, sich meine Einschätzung und Gedanken zu Gemüte zu führen.

!!! Ende der Warnung !!! Letzte Chance abzuspringen !!! Los geht’s !!!

Beginnen wir bei Walter White, der in insgesamt 5 Breaking-Bad-Staffeln (beziehungsweise 6, sofern man die halbierte Finalstaffel als 2 getrennte Staffeln ansehen möchte) eine beängstigend realistische und gleichzeitig verrückte Wandlung vom biederen Chemielehrer zum Drogenbaron vollzogen hat. Auf seinem Weg hat er, neben seinem eigenen, die Leben von mehreren Personen maßgeblich und selten zum Guten beeinflusst. Was mich am Finale von Breaking Bad am meisten beeindruckt hat, war die stringente und gnadenlose Erzählweise. Die Macher sind dem Grundprinzip der Serie von der ersten Sekunde bis zum bitteren Ende treu geblieben. So ist es nur logisch, dass nach einer unfassbar langen Reihe von im Affekt getroffenen Fehlentscheidungen genau eine solche Walters Ende in einem grandios inszenierten Showdown besiegelt. Jesses Überleben wirkt durch die Torturen, die er durchstehen musste, die über den Gesamtverlauf der Geschichte hinweg jedoch nicht immer fremdverschuldet waren, nicht als vollkommene Erlösung. Ein Happy End gibt es für keinen der Seriencharaktere. Etwas Derartiges wäre in meinen Augen gänzlich unangebracht gewesen. Einziger Wermutstropfen waren für mich einige im Laufe der letzten Staffel zu rasch gezogene Schlüsse und zu schnell begriffene Zusammenhänge von Walters Gegnern. Trotzdem ist Breaking Bad für mich das strahlende Beispiel eines konsequent erzählten und zu einem unausweichlichen, endgültigen Schluss gebrachten Konzepts.

Schuld an dem passenden Finale von Breaking Bad war, soweit ich es aus Medienberichten herauslesen konnte, vor allem Serienschöpfer Vince Gilligan, der seine Kreation nie vollständig aus der Hand gab und seine Ideen und Wünsche bei Sender und Produzenten stets vehement verteidigte und durchsetzte. Ganz anders dagegen erging es den Autoren von Dexter. Ein Ende ohne mögliche Wiederkehr wurde ihnen für Hauptcharakter Dexter Morgan vom Fernsehsender Showtime von vornherein untersagt. Besonders verwunderlich ist es deshalb nicht, dass der Abschluss dieser TV-Serie sehr bemüht, fast schlampig und meiner Meinung nach unpassend wirkt.

Es ist nicht bloß das Ende, das mich furchtbar enttäuschte. Die Abkehr von der Essenz Dexters begann bereits in der vorletzten, siebten Staffel. Dem zu Emotionen unfähigen und von der Lust des Tötens getriebenen Psychopathen, der nur mit größter Mühe und allerlei Tricks in der Gesellschaft unerkannt überleben kann, wurden plötzlich immer mehr Eigenschaften angedichtet, die er im Grunde niemals hätte haben dürfen. Es waren stets einzig sein Code, dank dem er seine Messer nicht gegen Unschuldige einsetzt, sowie sein ständiges Bemühen, die Menschen um ihn herum besser verstehen zu können, die dem Zuschauer Dexters Wesen verständlich und den Charakter zugänglich machten. Dass Dexter zarte aber unbeholfene Bindungen eingeht und mehr oder weniger gewollt sogar eine Familie gründet, waren in reduzierter Intensität nachvollziehbare Vorgänge. Absurd wurde es für mich in dem Moment, in dem er sich geradezu inbrünstig und ohne nachzudenken in eine Beziehung mit einer anderen Serienkillerin stürzt. Spätestens ab diesem Augenblick schmolz aus meiner Sicht die Glaubwürdigkeit rapide dahin.

Darüber hinaus wurde der Konflikt mit Dexters Schwester, Debra Morgan, nicht kritisch genug ausgewertet. Ansätze von inneren wie äußeren Kämpfen, die hätten ausgefochten werden müssen, zeigten sich erst zu Beginn der letzten Staffel. Die ersten Folgen von Staffel 8 haben mich, nach der über die gesamte Laufzeit hinweg schwachen siebten Staffel, so muss ich zugeben, geradezu positiv überrascht. Die Idee, dass eine Psychologin Dexters Adoptivvater half, die Regeln für seinen besonderen Sprössling zu entwickeln, befand ich als interessant und plausibel. Sie wäre eine exzellente Endgegnerin für Dexter gewesen. Stattdessen entwickelte man die anfänglich kontroverse, sehr geheimnisvoll angelegte und von Charlotte Rampling exzellent gespielte Figur mit der Zeit zu einer immer profaneren und unbedeutenderen Randerscheinung. Wo man als Zuschauer etwas Mysteriöses vermutete, wurde es mit einem wilden Hakenschlag der Geschichte innerhalb von Sekunden zunichte gemacht. Hinzu kam eine in den Folgen vor dem Finale exponentiell ansteigenden Zahl von neuen Charakteren, die wie Kaninchen aus einem Zauberhut sprangen, um ihren winzigen Part zu erfüllen. Dabei verfügte man über so viele interessante Nebenrollen, die mit ein bisschen Fantasie noch genügend Konfliktpotenzial geboten hätten.

Mit Zunahme der Fragen, die sich in meinem Kopf bildeten, wuchs meine Enttäuschung in der letzten Hälfte der Finalstaffel in Unermessliche. Wozu braucht es einen für drei Folgen neu eingeführten U.S. Marshal, um Dexters Plänen und seiner wahren Natur auf die Spur zu kommen, wo man doch ein ganzes Polizeirevier voller Ermittler zur Verfügung hat? Wieso denken weder Batista noch Quinn bei Dexters letztem Mord weiter? Warum bringt man den alten Polizeichef und Vertrauten von Dexters Vater zurück, um ihn dann auf die letzten Meter als Wortgeber versauern zu lassen? Wie hätte das Ende aussehen können, wenn Dr. Vogel der eigentliche „Brain Surgeon“ gewesen wäre und Dexter im Laufe der Staffel derart manipuliert hätte, dass er in ihrem Auftrag die letzen Spuren ihrer unkonventionellen Methoden beseitigt? Wieso übersieht Dexter plötzlich so viele Details und braucht ewig, um offensichtliche Zusammenhänge zu erkennen? Warum täuscht Dexter seinen Tod im Wirbelsturm nur vor? Dexter als Holzfäller – wer bitte kam auf diese Idee? Wenn Dexter überhaupt in der Lage ist, eine emotionale Bindung einzugehen, dann (neben seiner Stiefschwester) höchstens mit seinem leiblichen Sohn. Wie kann er sich mutwillig eine solch rosarote Brille aufsetzen, dass er Harrison einer Serienmörderin überlässt, die er vorher selbst ins Gefängnis gebracht hat, weil sie versuchte seine Schwester zu töten? Warum vertraut der sonst so intelligente und berechnende Dexter, der es sein Leben lang gewohnt ist, jedem zu misstrauen, dieser Frau plötzlich derart bedingungslos? So liebeskrank könnte nicht mal ein normaler Mensch sein! Wie großartig wäre ein Ende für Dexter auf seinem eigenen Tisch oder durch die Hand des Gesetzes gewesen, bei dem er sich seinen Opfern aus acht Staffeln vor seinem Ableben ein letztes Mal hätte stellen müssen?

Ich sage nicht, dass meine Ideen das Non plus ultra sind und die einzig wahre Lösung gewesen wären. Das wäre anmaßend. Wenn mir jedoch schon etliche Details auffallen, die man im ursprünglichen Sinn der Serie anders hätte machen können und sollen, warum musste alles in einem unsäglichen, süßsauren Tränendrüsendrücken enden? Die vielleicht wichtigste und umfassendste Frage von allen ist in diesem Zusammenhang vielleicht: Warum blieb an allen Ecken und Enden so viel Potenzial ungenutzt?

Eine große Anzahl Dinge, die bei Breaking Bad richtig gemacht wurden und die letztendlich zu einem überzeugenden Ende führten, wurden bei Dexter völlig außen vor gelassen. Je weiter man sich vom Wesen des Hauptcharakters und dem Kern der Serie entfernte, desto abstruser wirkte das Geschehen auf dem Bildschirm. Ich bin überzeugt davon, dass ein „richtiges“ Ende – wie auch immer es hätte aussehen können – für Dexter besser gewesen wäre. Ein Antiheld ist eben nur so lange plausibel, wie er ein Antiheld bleibt. Der Punisher oder der Preacher können in den Comics ebenfalls nicht plötzlich zum Heldentum übertreten.

In diesem Sinne sage ich:
Tschüss Dexter! Es war schön mit dir – vor allem bis zum Ende der sechsten Staffel. Ab dann hast du leider deinen Biss verloren. Vielleicht hast du in deinem Holzfällercamp ja einen Fernseher, auf dem du dir Breaking Bad ansehen kannst. Der Chemielehrer weiß, wie ein würdiger Abgang auszusehen hat. R.I.P. Walter White.