Schlagwort-Archive: Matthew McConaughey

Extreme Ermittlungen

Was hat es bloß mit der neuerlich aufkeimenden Begeisterung von Autoren für Geweihe auf sich? Diese Frage stellte sich mir jüngst, nachdem der tierische Kopfschmuck bereits in der zweiten TV-Serie in Zusammenhang mit grausamen Morden einen Auftritt hatte. Ist die sich verstärkende Landlust des Publikums der Grund dafür? Oder besinnen sich die Schreiber wieder zurück auf die Natur, weil Hightech-Tötungsmethoden bereits genug beackert wurden? Ich weiß es nicht. Genau genommen ist es mir relativ egal. Die Hauptsache ist schließlich, dass das Endprodukt zu fesseln weiß. Dies trifft sowohl auf Hannibal, als auch auf True Detective zu, jene beiden Serien, in denen bei Mordopfern Gehörn präsentiert wird.

Neben dem Auftauchen eines Geweihs kann man, sofern man möchte, einige weitere Parallelen zwischen Hannibal und True Detective ziehen. Das bedeutet gleichzeitig nicht, dass sich hier jemand bei den Ideen des Anderen schamlos bedient hat. Zumindest habe ich diesen Eindruck nicht. Da ich die ersten Staffeln beider Serien in den vergangenen Wochen recht kurz hintereinander gesehen habe, drängt sich in meinem Kopf ein direkter Vergleich geradezu auf – selbst wenn mann aufgrund von genügend Unterschieden vielleicht nicht vergleichen sollte. An dieser Stelle sei erwähnt, dass von Hannibal mehr Folgen existieren, ich bisher jedoch nur die erste Staffel gesehen habe und damit lediglich diese in meine Überlegungen einbeziehen kann.

Der von Thomas Harris erdachten Kannibale Hannibal Lecter ist eine große und schillernde Figur der modernen Spannungsliteratur. Besonders der chronologisch letzte Teil der Tetralogie um den gebildeten Menschenfresser hat mich so sehr begeistert, dass er nach wie vor zu meinen Lieblingsbüchern zählt. Die Verfilmung von „Hannibal“ war indes in meinen Augen gelinde gesagt eine Katastrophe. Auch halte ich es für fraglich, ob sich der Autor einen Gefallen damit tat, 2006 mit „Hannibal Rising“ eine ziemlich verworrene Vorgeschichte zu präsentieren.
Genau hier setzt allerdings die TV-Serie an. Nicht ganz so früh wie das Buch, aber früher als der zuerst veröffentlichte Lecter-Roman „Roter Drache“. Da Hannibal ausdrücklich lediglich auf den Werken des Schriftstellers basiert, gibt es selbstredend etliche Unterschiede zur Vorlage. Dies wäre nicht weiters schlimm, würde die Welt von Hannibal Lecter hier und da nicht zu sehr verbogen. So verfügt FBI-Profiler und Gegenspieler Will Graham plötzlich über wundersame Fähigkeiten, die ihm beim Anblick eines Tatorts oder dem Anfassen einer Leiche derart viele Details verraten, dass er den Tathergang im Nu rekonstruieren kann. Mir persönlich erscheint er dadurch zu übermächtig. Ähnlich erging es mir mit der Figur des John Luther in der gleichnamigen BBC-Serie. Ich ließ mich an anderer Stelle darüber aus (Link zum Artikel). Glücklicherweise wurde jenes Problem bei Luther im Laufe der Serie geschickt gelöst und der Charakter schnell an seine Grenzen gebracht. Deshalb hoffe ich, dass es Will Graham in der zweiten Staffel ähnlich ergehen wird. Ich möchte als Zuschauer nämlich lieber gefordert werden, mitdenken und mich quasi als Ermittler im Hintergrund fühlen, als mir alles gemütlich vorkauen zu lassen. Sonst vergeht mir relativ schnell der Spaß.
Schauspielerisch gibt es an der Besetzung von Hannibal nichts auszusetzen. Der extrem wandelbare Mads Mikkelsen glänzt in der Rolle des als Psychiater arbeitenden Kannibalen, Hugh Dancy überzeugt als mit sich und seiner Arbeit hadernder Will Graham, und Laurence Fishburn mimt den pragmatischen Direktor der FBI-Verhaltensforschungseinheit routiniert.

Dass es bei der Geschichte um den Menschenfleich-Gourmet in Sachen Gewalt und Opferdarstellung nicht zimperlich zugehen darf, versteht sich von selbst. Die explizite Darstellung von Grausamkeiten ist aber nicht das Einzige, was Hannibal und True Detektive gemein haben. So gibt es in der von Autor Nix Pizzolatto geschriebenen und durchgehend unter der Regie von Cary Joji Fukunaga entstandenen TV-Serie ebenfalls einen äußerst begabten Ermittler. Dessen Fähigkeiten und Visionen sind hingegen stets rational erklärbar, wodurch er nicht dermaßen der Welt entrückt wirkt wie sein kannibalenjagender Kollege. Egal wie gut Rust Cohle seinen Job als Detective in Louisiana ausführt, es bleibt immer genug Raum für mich als Zuschauer zum Mitraten. Dabei ist es irrelevant, ob der von Matthew McConaughey überragend gespielte, schrullige und bis zur Schmerzgrenze realistische Mordermittler in ausnahmslos jeder Situation das letzte Wort hat. Mit seinem wesentlich naiveren Kollegen Marty Hart, kongenial gemimt von Woody Harrelson, ist er im Jahr 1995 auf der Suche nach einem Killer, der die Bayous unsicher macht.

Die Musikuntermalung spielt bei Hannibal wie bei True Detective eine wichtige Rolle, wobei sie bei ersterer Serie eher unterstützend wirkt, wohingegen die Story um die beiden ungleichen Partner in den Südstaaten erst durch den wuchtigen Soundtrack zum perfekten Gesamtkunstwerk vervollständigt wird. Selten hat mich ein Vorspann so beeindruckt, dass ich ihn mir bei jeder Folge komplett und ohne Vorspulen angesehen habe. Auch was die Erzähltechnik anbelangt kann True Detective punkten. Durch die faszinierende Verbindung von Szenen aus der Vergangenheit und solchen aus dem Jetzt, in denen die Protagonisten über ihre gemeinsamen Erlebnisse berichten, ist der Zuschauer ständig gefordert und die Präsentation bleibt so abwechslungsreich, wie es eine lineare Erzählung niemals sein kann. Selbstverständlich wird diese Art, die Story zu inszenieren dadurch begünstigt, dass man sich bei True Detective im Gegensatz zu Hannibal für ein Anthologieformat und keine Fortsetzungsgeschichte entschied. Dies birgt den großen Nachteil, dass die Abenteuer von Rust und Marty am Ende der insgesamt 8 Folgen abgeschlossen ist und es in der zweiten Staffel kein Wiedersehen mit den beiden exzellenten Schauspielern geben wird – egal wie sehr ich dies bedauere. Getreu dem Motto „aufhören wenn es am Schönsten ist“, kann man dies freilich gleichermaßen als Stärke auslegen.

True Detective ist erfrischend anders als alle bisher dagewesenen Krimiserien, wenngleich viele bekannte Klischees und Stereotype bemüht werden. Der einsame und mit seinen inneren Dämonen kämpfende Ermittler, der in seiner karg eingerichteten Wohnung nur auf einer Matratze schläft, der starrköpfige und leicht erregbare Chef, der seinen Mitarbeitern keinen Glauben schenkt und eine Menge verdächtig aussehende Hinterwäldler sind nur einige Beispiele. Es ist der Fokus auf zwischenmenschliche Beziehungen, der das aus all den bewährten Dingen angeordnete Muster neu erscheinen lässt. Kombiniert mit messerscharf ausgefeilten Dialogen, einer Kameraführung, die insbesondere in den wenigen Actionszenen (eine davon 6 Minuten am Stück gefilmt!) ihresgleichen sucht und einem recht gemächlichem Erzähltempo ist True Detective in meinen Augen ein absolutes Muss für jeden Fan von extremen Ermittlungen sowie spannungsgeladener Fernsehunterhaltung und rangiert in meiner persönlichen Liste der Lieblings-TV-Serien schon jetzt ganz weit oben.

Obwohl die Detectives aus Louisiana für mich im Vergleich des möglicherweise Unvergleichlichen die Nase klar vorn haben, halte ich auch Hannibal wie eingangs bereits erwähnt für eine sehenswerte, jedoch nach er ersten Staffel (noch) nicht überragende TV-Serie. Dennoch bin ich gespannt, wie es mit dem Kannibalen und seinem begabten Kontrahenten weitergeht, zumal ich gelesen habe, dass einige meiner Lieblingscharaktere aus oben erwähntem Buch einen Auftritt haben werden.

Für Interessenten verlinke ich als Abschluss zu den Produktseiten der DVD-Boxen der jeweils ersten Staffeln von True Detective und Hannibal auf Amazon.co.uk.

Der Wolf und sein Rudel

Für den ersten Kinobesuch im neuen Jahr entschied ich mich für Altmeister Martin Scorseses neuestes Werk über Einfluss, Gier und die Macht des Geldes. Dass der Regisseur dazu neigt, mit talentierten Schauspielern gleich mehrfach zusammenzuarbeiten und mitunter sehr fruchtbare Arbeitsbeziehungen aufzubauen, ist hinlänglich bekannt. So ist es Leonardo DiCaprio, der in The Wolf of Wall Street bereits zum fünften Mal unter der Anleitung des großen Filmemachers agiert. Die bewährte Mischung führt erneut zum gewünschten Ergebnis, einem bildgewaltigen Kinoerlebnis der besonderen Art.

Angelehnt an die Biografie des Börsenmaklers Jordan Belfort erzählt The Wolf of Wall Street den Aufstieg und Fall des begnadeten Verkaufsgenies, der auf seiner Suche nach Reichtum vor nichts zurückschreckt und sich gnadenlos seinen Weg von der Arbeiterschicht hin zur ausschweifenden Dekadenz in der Welt der Reichen und Schönen bahnt. Ob seine Methoden halb oder am Ende gar nicht mehr legal sind, stört ihn wenig, denn er ist der festen Überzeugung, dass Geld die ultimative Lösung für sämtliche Probleme ist, da man sich damit einfach alles kaufen kann. Leonardo DiCaprio verkörpert diesen von einer Spirale der Süchte getriebenen Charakter bravourös und lässt genau die richtige Mischung aus Spitzbübigkeit und Skrupellosigkeit erkennen. Den gewonnenen Golden Globe hat er in meinen Augen mehr als verdient. Seine Darbietung ist so großartig, dass er allein in der Lage wäre den Film zu tragen. Das muss er aber nicht, denn The Wolf of Wall Street ist bis in die kleinsten Nebenrollen hochkarätig und treffsicher besetzt. Nicht nur Jonah Hill geht in seiner Rolle als Belforts Geschäftspartner und engster Vertrauter, Donnie Azoff, auf. Auch Matthew McConaughey, dem ich ob seiner derzeitig viel zu mageren Figur zu gerne mal einen großen Hamburger spendieren würde, brilliert in seiner vergleichsweise winzigen Rolle als Mark Hanna, Belforts Mentor bei dessen erstem Job an der Wall Street. Ein weiteres Beispiel ist Jon Bernthal, der einen schrulligen Strohmann mit größter Perfektion für Details mimt. Er gehört für mich zu den aktuell vielversprechendsten und unverbrauchtesten Talenten Hollywoods und ich hoffe, dass man in Zukunft noch viel mehr von ihm sehen wird.

Stilistisch bedienen sich Regisseur Martin Scorsese und Drehbuchautor Terence Winter einem bunten Mix, der die komödiantischen Elemente unterstreicht, ohne den bitteren Unterton von Belforts Taten ungehört vorbeiziehen zu lassen. Mal kommentiert der Hauptcharakter das Geschehen auf der Leinwand aus dem Off, mal dürfen die Zuschauer direkt an den Gedanken verschiedener Protagonisten teilhaben und selbst die vierte Wand stellt kein Hindernis dar. Letzterer scheint in den Film- und Fernsehfabriken im Land der Unbegrenzten Möglichkeiten in den letzten Monaten eine immer größere Bedeutung zugemessen zu werden. Man denke nur an das subtile Einbeziehen des Betrachters in der zweifelsfrei sehenswerten TV-Serie House of Cards (Link zu IMDB). Leonardo DiCaprio spricht als Jordan Belfort weniger häufig direkt zu seinem Publikum, das Gefühl einer um die Beobachtung wissenden und sie gar genießenden Figur bleibt gleichwohl bestehen. So oft während der gesamten Spielzeit im Kinosaal lautes Lachen über die an Maßlosigkeit, Verantwortungslosigkeit und Lächerlichkeit kaum zu überbietenden Ausschweifungen des Gernegroß Belfort ertönt, so oft bleibt es den Beobachtern im Halse stecken. Egal wie sehr er es sich einreden möchte und egal wie groß das Rudel aus Brokern mit unerschöpflicher Geldgier ist, das der Wolf von der Wall Street mit der Zeit um sich schart: Mit Geld kann man eben doch nicht alles auf der Welt kaufen.

Lohnt es sich, eine Eintrittskarte für The Wolf of Wall Street zu lösen, um den Film auf der großen Leinwand zu genießen? Auf jeden Fall! Finden die Oscar-Nominierungen für dieses Werk meine Zustimmung? Ja, denn hier wird meiner Meinung nach weitaus mehr und leidenschaftlicher gespielt, als in Gravity (Link zu IMDB). Ob The Wolf of Wall Street mein ganz persönlicher Oscar-Favorit ist, darüber kann ich mir jedoch an dieser Stelle kein Urteil erlauben. Dazu habe ich (noch) zu wenige der ebenfalls nominierten Filme gesehen. Ganz ohne Schwächen kommt nämlich auch der große, böse Wolf über stolze 179 Minuten nicht ins Ziel. Bisweilen hätte ich mir weniger Orgien, mehr Einblicke in Belforts Privatleben sowie aussagekräftigere Auseinandersetzungen zwischen ihm und seinem Widersacher vom FBI, Agent Patrick Denham (Kyle Chandler), gewünscht. Im Großen und Ganzen liefern die Beteiligten aber allesamt eine bemerkenswerte und sehenswerte Leistung ab und machen The Wolf of Wall Street zu einem äußerst unterhaltsamen Start ins Kinojahr 2014.