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Extreme Ermittlungen

Was hat es bloß mit der neuerlich aufkeimenden Begeisterung von Autoren für Geweihe auf sich? Diese Frage stellte sich mir jüngst, nachdem der tierische Kopfschmuck bereits in der zweiten TV-Serie in Zusammenhang mit grausamen Morden einen Auftritt hatte. Ist die sich verstärkende Landlust des Publikums der Grund dafür? Oder besinnen sich die Schreiber wieder zurück auf die Natur, weil Hightech-Tötungsmethoden bereits genug beackert wurden? Ich weiß es nicht. Genau genommen ist es mir relativ egal. Die Hauptsache ist schließlich, dass das Endprodukt zu fesseln weiß. Dies trifft sowohl auf Hannibal, als auch auf True Detective zu, jene beiden Serien, in denen bei Mordopfern Gehörn präsentiert wird.

Neben dem Auftauchen eines Geweihs kann man, sofern man möchte, einige weitere Parallelen zwischen Hannibal und True Detective ziehen. Das bedeutet gleichzeitig nicht, dass sich hier jemand bei den Ideen des Anderen schamlos bedient hat. Zumindest habe ich diesen Eindruck nicht. Da ich die ersten Staffeln beider Serien in den vergangenen Wochen recht kurz hintereinander gesehen habe, drängt sich in meinem Kopf ein direkter Vergleich geradezu auf – selbst wenn mann aufgrund von genügend Unterschieden vielleicht nicht vergleichen sollte. An dieser Stelle sei erwähnt, dass von Hannibal mehr Folgen existieren, ich bisher jedoch nur die erste Staffel gesehen habe und damit lediglich diese in meine Überlegungen einbeziehen kann.

Der von Thomas Harris erdachten Kannibale Hannibal Lecter ist eine große und schillernde Figur der modernen Spannungsliteratur. Besonders der chronologisch letzte Teil der Tetralogie um den gebildeten Menschenfresser hat mich so sehr begeistert, dass er nach wie vor zu meinen Lieblingsbüchern zählt. Die Verfilmung von „Hannibal“ war indes in meinen Augen gelinde gesagt eine Katastrophe. Auch halte ich es für fraglich, ob sich der Autor einen Gefallen damit tat, 2006 mit „Hannibal Rising“ eine ziemlich verworrene Vorgeschichte zu präsentieren.
Genau hier setzt allerdings die TV-Serie an. Nicht ganz so früh wie das Buch, aber früher als der zuerst veröffentlichte Lecter-Roman „Roter Drache“. Da Hannibal ausdrücklich lediglich auf den Werken des Schriftstellers basiert, gibt es selbstredend etliche Unterschiede zur Vorlage. Dies wäre nicht weiters schlimm, würde die Welt von Hannibal Lecter hier und da nicht zu sehr verbogen. So verfügt FBI-Profiler und Gegenspieler Will Graham plötzlich über wundersame Fähigkeiten, die ihm beim Anblick eines Tatorts oder dem Anfassen einer Leiche derart viele Details verraten, dass er den Tathergang im Nu rekonstruieren kann. Mir persönlich erscheint er dadurch zu übermächtig. Ähnlich erging es mir mit der Figur des John Luther in der gleichnamigen BBC-Serie. Ich ließ mich an anderer Stelle darüber aus (Link zum Artikel). Glücklicherweise wurde jenes Problem bei Luther im Laufe der Serie geschickt gelöst und der Charakter schnell an seine Grenzen gebracht. Deshalb hoffe ich, dass es Will Graham in der zweiten Staffel ähnlich ergehen wird. Ich möchte als Zuschauer nämlich lieber gefordert werden, mitdenken und mich quasi als Ermittler im Hintergrund fühlen, als mir alles gemütlich vorkauen zu lassen. Sonst vergeht mir relativ schnell der Spaß.
Schauspielerisch gibt es an der Besetzung von Hannibal nichts auszusetzen. Der extrem wandelbare Mads Mikkelsen glänzt in der Rolle des als Psychiater arbeitenden Kannibalen, Hugh Dancy überzeugt als mit sich und seiner Arbeit hadernder Will Graham, und Laurence Fishburn mimt den pragmatischen Direktor der FBI-Verhaltensforschungseinheit routiniert.

Dass es bei der Geschichte um den Menschenfleich-Gourmet in Sachen Gewalt und Opferdarstellung nicht zimperlich zugehen darf, versteht sich von selbst. Die explizite Darstellung von Grausamkeiten ist aber nicht das Einzige, was Hannibal und True Detektive gemein haben. So gibt es in der von Autor Nix Pizzolatto geschriebenen und durchgehend unter der Regie von Cary Joji Fukunaga entstandenen TV-Serie ebenfalls einen äußerst begabten Ermittler. Dessen Fähigkeiten und Visionen sind hingegen stets rational erklärbar, wodurch er nicht dermaßen der Welt entrückt wirkt wie sein kannibalenjagender Kollege. Egal wie gut Rust Cohle seinen Job als Detective in Louisiana ausführt, es bleibt immer genug Raum für mich als Zuschauer zum Mitraten. Dabei ist es irrelevant, ob der von Matthew McConaughey überragend gespielte, schrullige und bis zur Schmerzgrenze realistische Mordermittler in ausnahmslos jeder Situation das letzte Wort hat. Mit seinem wesentlich naiveren Kollegen Marty Hart, kongenial gemimt von Woody Harrelson, ist er im Jahr 1995 auf der Suche nach einem Killer, der die Bayous unsicher macht.

Die Musikuntermalung spielt bei Hannibal wie bei True Detective eine wichtige Rolle, wobei sie bei ersterer Serie eher unterstützend wirkt, wohingegen die Story um die beiden ungleichen Partner in den Südstaaten erst durch den wuchtigen Soundtrack zum perfekten Gesamtkunstwerk vervollständigt wird. Selten hat mich ein Vorspann so beeindruckt, dass ich ihn mir bei jeder Folge komplett und ohne Vorspulen angesehen habe. Auch was die Erzähltechnik anbelangt kann True Detective punkten. Durch die faszinierende Verbindung von Szenen aus der Vergangenheit und solchen aus dem Jetzt, in denen die Protagonisten über ihre gemeinsamen Erlebnisse berichten, ist der Zuschauer ständig gefordert und die Präsentation bleibt so abwechslungsreich, wie es eine lineare Erzählung niemals sein kann. Selbstverständlich wird diese Art, die Story zu inszenieren dadurch begünstigt, dass man sich bei True Detective im Gegensatz zu Hannibal für ein Anthologieformat und keine Fortsetzungsgeschichte entschied. Dies birgt den großen Nachteil, dass die Abenteuer von Rust und Marty am Ende der insgesamt 8 Folgen abgeschlossen ist und es in der zweiten Staffel kein Wiedersehen mit den beiden exzellenten Schauspielern geben wird – egal wie sehr ich dies bedauere. Getreu dem Motto „aufhören wenn es am Schönsten ist“, kann man dies freilich gleichermaßen als Stärke auslegen.

True Detective ist erfrischend anders als alle bisher dagewesenen Krimiserien, wenngleich viele bekannte Klischees und Stereotype bemüht werden. Der einsame und mit seinen inneren Dämonen kämpfende Ermittler, der in seiner karg eingerichteten Wohnung nur auf einer Matratze schläft, der starrköpfige und leicht erregbare Chef, der seinen Mitarbeitern keinen Glauben schenkt und eine Menge verdächtig aussehende Hinterwäldler sind nur einige Beispiele. Es ist der Fokus auf zwischenmenschliche Beziehungen, der das aus all den bewährten Dingen angeordnete Muster neu erscheinen lässt. Kombiniert mit messerscharf ausgefeilten Dialogen, einer Kameraführung, die insbesondere in den wenigen Actionszenen (eine davon 6 Minuten am Stück gefilmt!) ihresgleichen sucht und einem recht gemächlichem Erzähltempo ist True Detective in meinen Augen ein absolutes Muss für jeden Fan von extremen Ermittlungen sowie spannungsgeladener Fernsehunterhaltung und rangiert in meiner persönlichen Liste der Lieblings-TV-Serien schon jetzt ganz weit oben.

Obwohl die Detectives aus Louisiana für mich im Vergleich des möglicherweise Unvergleichlichen die Nase klar vorn haben, halte ich auch Hannibal wie eingangs bereits erwähnt für eine sehenswerte, jedoch nach er ersten Staffel (noch) nicht überragende TV-Serie. Dennoch bin ich gespannt, wie es mit dem Kannibalen und seinem begabten Kontrahenten weitergeht, zumal ich gelesen habe, dass einige meiner Lieblingscharaktere aus oben erwähntem Buch einen Auftritt haben werden.

Für Interessenten verlinke ich als Abschluss zu den Produktseiten der DVD-Boxen der jeweils ersten Staffeln von True Detective und Hannibal auf Amazon.co.uk.

In den Straßen von London

TV-Serien, die in ihrem Verlauf immer besser werden und zusätzlich aus anfänglichen Fehlern lernen, sind rar gesät. Die von der BBC produzierte Fortsetzungsgeschichte um den hochintelligenten John Luther gehört zu diesen seltenen Exemplaren. Im Laufe von insgesamt drei jeweils kurzen Staffeln wird der mit unkonventionellen Methoden arbeitende Detective Chief Inspector (DCI) mit allerlei bizarren Mordfällen konfrontiert. Bei der Präsentation der Verbrechen gehen die Macher rund um Erfinder Neil Cross dabei wenig zimperlich vor. Stilistisch bedienen sie sich querbeet durch das Thriller- und Horror-Genre. Zuschauer mit schwachen Nerven gehören deshalb sicherlich nicht zur Zielgruppe der spannungsgeladenen TV-Serie.

Dass Iris Elbas schauspielerische Fähigkeiten weit über dem liegen, was im Allgemeinen als talentiert bezeichnet wird, hat er bereits eindrucksvoll in seiner Rolle als Russel „Stringer“ Bell, die rechte Hand eines Baltimorer Drogenbosses, in den fünf Staffeln von The Wire (Link zu Wikipedia) bewiesen. Die Figur des eigenbrötlerischen, mit privaten Problemen behafteten und sich um Regeln wenig scherenden John Luther ist ihm wie auf den Leib geschneidert. Als Hauptfigur der TV-Serie trägt er wesentlich zu deren Gelingen bei. In den ersten Episoden noch als etwas zu übermächtig und allwissend eingeführt, gerät der findige DCI glücklicherweise bald an seine Grenzen und wird spätestens ab er zweiten Hälfte der ersten Staffel mit ebenbürtigen Gegnern konfrontiert, die er nicht mehr auf den ersten Blick durchschaut. Stark präsentiert sich an seiner Seite Warren Brown als Detective Sergeant Justin Ripley. Der junge, engagierte Ermittler fungiert als sympathischer Teampartner für seinen mürrischen und sturen Kollegen. Zusätzlich auf Trab gehalten wird Luther durch die in mehrfacher Hinsicht begabte Alice Morgan, geschickt gespielt von Ruth Wilson.

Luther ist allerdings nicht nur wegen der exzellent ausgewählten Besetzung und den spannenden Mordfällen, für die sich im Laufe der Serie positiverweise immer mehr Zeit genommen wird, sehenswert. Es ist der durch geschicktes Framing erzeugte Look, der jeder Folge eine einzigartige Atmosphäre verleiht. Ungewöhnliche Kameraperspektiven und Bildausschnitte sind nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Im ersten Moment unter Umständen etwas gewöhnungsbedürftig, sind es jedoch genau diese Aufnahmen, welche die dunkle Seite der Hauptstadt des Vereinigten Königreichs so greifbar machen.

Mit insgesamt 14 Folgen verteilt auf 3 Staffeln ist Luther für Serienfans ein relativ kurzes Vergnügen. Ob und wie es weitergeht ist bisher nicht eindeutig bekannt. Gerüchte besagen, dass eine Fortsetzung in Form eines Films in Planung sein könnte. Eine vierte Staffel soll es laut Neil Cross allerdings nicht geben. Ob es ein Nachteil ist, eine beim Publikum beliebte und von Kritikern gefeierte TV-Serie so kurzfristig zu beenden, sei dahingestellt. Um sich vor Enttäuschungen zu schützen, sollte man sollte bekanntlich immer gerade dann aufhören, wenn es am schönsten ist. Ich persönlich würde mich freuen, wenn DCI John Luther eines Tages zurückkehren würde, um in den Straßen von London für Recht und Ordnung zu sorgen. Die Form wäre mir egal. Prinzipiell ist das Format durchaus für einen Film geeignet.

Wer Luther noch nicht gesehen hat und jetzt neugierig geworden ist, dem möchte ich den Kauf des Boxsets (Link zur Produktseite auf Amazon.co.uk) mit allen Episoden empfehlen. Wie immer lege ich jedem, der der englischen Sprache mächtig ist, die Originalversion ans Herz. Gegen die in Deutschland angebotene Fassung der Serie spricht in diesem besonderen Fall schon die Tatsache, dass sie nicht alle Episoden enthält, sondern lediglich eine für das ZDF gekürzte und auf die Länge von einem Fernsehfilm pro zwei Folgen zusammengeschnittene Version.