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Die Mischung macht’s

Kurz vor dem Einschlafen gehen mir die verschiedensten Dinge durch den Kopf. Vor einigen Tagen dachte ich darüber nach, wie sich unsere Sprache im Laufe des Lebens verändert, wie wir jeden Tag hinzulernen und sie anpassen. Die Einflüsse auf unsere individuellen Sprachgewohnheiten sind vielfältig, angefangen bei den Eltern über die Medien bis zu unseren Freunden und natürlich auch den Ehepartnern.

Ich wuchs in Aschaffenburg auf, einer schönen Stadt am Bayerischen Untermain. Meine Eltern bemühten sich beide möglichst Hochdeutsch mit mir zu sprechen. Sie sprachen stets viel mit mir, wofür ich im Nachhinein sehr dankbar bin und was sicher ein Grund dafür ist, dass ich nicht „auf den Mund gefallen“ bin. Ein bisschen Dialekt hat wohl fast jeder Mensch in seinem Sprachgebrauch. Meine Mutter kommt gebürtig aus Marktheidenfeld, das südöstlich von Aschaffenburg liegt und vom Dialekt her schon mehr zum Fränkischen als zum Hessischen tendiert. Auch Aschaffenburg selbst hat seine eigene Mundart, das sogenannte „Ascheberger Platt“. Zu meiner Grundschulzeit wurde dies in diversen Gedichten sogar extra vermittelt. Ein bekanntes Beispiel habe ich in der Literaturdatenbank Projekt Gutenberg bei Spiegel Online gefunden: Die Wermsche von Gustav Trockenbrodt. Der Dialekt meines Vaters war wohl größtenteils Ascheberger Platt, ist er doch in Aschaffenburg aufgewachsen. Im Aschaffenburger Dialekt vermischen sich Fränkisch und Hessisch, ist die Grenze zum benachbarten Bundsland doch nicht weit. Ganz so einfach wie ein Zusammenwürfeln von verschiedenen Worten ist das Ganze aber nicht. Man darf die sprachliche Vielfalt in der Region nicht unterschätzen. Der benachbarte Landkreis Main-Spessart hat eine Menge verschiedene Dialekte, die sich in feinen Nuancen unterscheiden. Meine Heimatstadt und die Menschen, mit denen ich im Laufe meiner Kinder- und Jugendzeit sprach, haben jede Menge Eindrücke hinterlassen. Viele Dinge haben Einfluss auf meinen Sprachgebrauch genommen. Herkunft und Heimat sind wohl bei allen von uns die ersten wichtigen, sprachlichen Einflussfaktoren.

Der größte „Clash der Kulturen“ und damit auch der Sprache, zumindest der deutschen Sprache, ereignete sich für mich, als ich meinen Ehemann kennenlernte, einen echten Ostfriesen. Er lebte bis er mir begegnete schon einige Jahre in Hessen, der norddeutsche Einfluss ist sprachlich aber selbstverständlich bei ihm nicht wegzudenken. So lernte ich durch ihn viele neue Begrifflichkeiten. Meine Oma bewahrte Süßigkeiten bei sich in einer „Süßschublade“ auf. Dank dem Ehemann erfuhr ich, dass man zu süßen Leckereien auch „Schlickersachen“ sagen kann. Wenn etwas eilt, sagt er „Ward Tiet!“. Das alles sind nur kleine Beispiele aus der Vielfalt an neuen Wörtern, die ich dank ihm gelernt habe und auch ich kann ihn bis heute manchmal mit einzelnen Ausdrücken oder Redewendungen überraschen. Mit großen Augen schaute er mich vor ein paar Monaten an, als ich sagte „Man muss auch mal ab- und zugeben können“ und auch das Wort „liedschäftig“, als Adjektiv für etwas Altersschwaches, etwas Abgenutztes, war ihm nicht geläufig.

Ich finde sprachliche Unterschiede und Eigenheiten schon immer interessant und kann viele deutsche Dialekte verstehen, inklusive Bayerisch – auch wenn ich immer wieder gerne betone, dass ich aus Unterfranken und nicht aus dem tiefsten Bayern stamme. Dennoch gibt es eine Variante des Deutschen, die mir wohl für immer ein Rätsel bleiben wird, nämlich Plattdeutsch. Der Ehemann kann es verstehen. Er hat sogar noch etwas davon in der Schule gelernt. Ich hingegen kann nur Bruchstücke erahnen, wenn sein Großvater in Emden Witze auf Mundart erzählt. Selbstverständlich lache ich höflich mit. Im Plattdeutschen vermischt sich das Deutsche mit dem Niederländischen und die Begrifflichkeiten sind teilweise so eigen, dass man bestimmte Vokabeln eben kennen muss, um alles wirklich verstehen zu können. Vielleicht komme ich ja mit der Zeit noch ein wenig mehr dahinter. Die angeheiratete Verwandtschaft wird es möglich machen.

Wir alle sind das Produkt der gesammelten Einflüsse, die auf uns wirken. Die Sprache ist der Bereich, in dem dies unmittelbar zum Ausdruck kommt. Gerade deshalb sind wir alle auch so einzigartig. Besonders deutlich wird dies auch, wenn man in die Familien schaut, die kleinen Lebensgemeinschaften, in denen wir uns ungehemmt und am natürlichsten bewegen. Jede Familie entwickelt ihre ganz eigene Umgangssprache, die Familiensprache. Hier mischen sich alle Eigenheiten zu einem ganz neuen Konstrukt. Jeder bringt etwas von sich ein. Die Familiensprache ist der Geburtsort von Kosenamen und allerlei neuen Wortschöpfungen. Viele davon dringen nicht in die Öffentlichkeit vor.

In meiner Familie hat sich beispielsweise für „Gute Nacht!“ ein Kurzausdruck verankert. Ich weiß nicht genau, wo er herkam, mutmaßlich ist er irgendwie aus „Gut’s Nächtle!“ und der Kurzform „Nacht!“ mutiert. Meine Eltern und ich, wir wünschten uns jedenfalls statt des förmlichen „Gute Nacht!“ immer nur kurz „Nächti!“. Nach einem im ersten Moment verwirrten Blick des Mannes, nachdem ich ihm irgendwann wie selbstverständlich mit diesem Wort eine gute Nacht wünschte, gefiel ihm dieser Ausdruck so gut, dass wir ihn schon lange in unsere eigene Familiensprache aufgenommen haben. Dieser Ausdruck war die gedankliche Initialzündung dafür, dass ich kurz vor dem Hinwegdämmern ins Land der Träume plötzlich über sprachliche Eigenheiten nachdachte.

Seltsam, wo einen die Gedanken manchmal hinführen. Oft kommen interessante Überlegungen eher zufällig. Ich bin kein Sprachwissenschaftler, aber ich mag es, mich mit Sprache zu beschäftigen. Ich lese und spreche und schreibe gerne. Das Thema „Sprache“ ist so weitläufig und diffizil, besonders wenn man verschiedene Sprachen und deren Eigenheiten und Herkunft analysiert. Es genügen aber schon einige wenige Gedanken über eine einzige Sprache, um sich darüber klar zu werden, dass unsere Sprache ein wichtiges Instrument ist, über das wir uns unterscheiden und definieren. Sprache lebt und verändert sich, jeden Tag, ein Leben lang, wobei sie sich nicht notwendigerweise über das gesprochene Wort definiert. Sprache muss gepflegt werden, in all ihren Äußerungsformen. Sprache ist wertvoll.