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Stadt ohne Helden

Schon lange stand The Wire auf meiner persönlichen Must-See-Liste. Inzwischen habe ich die fünf, mit jeweils 10 bis 13 Episoden relativ kurzen Staffeln der mittlerweile abgeschlossenen TV-Serie gesehen und bin restlos begeistert. The Wire wird nicht umsonst von Fans und Kritikern hoch gelobt und in den Fernseholymp gehoben.

Die Serie beleuchtet das Leben in Baltimore aus verschiedenen Blickwinkeln, wobei jede Staffel einen anderen Schwerpunkt hat. Neben der Arbeit der örtlichen Polizei mit ihren verschiedenen Einheiten, wird der Kampf gegen Drogen und Gewalt auch aus Sicht der Dealer, Drogenbosse und Süchtigen gezeigt. Darüber hinaus erzählt The Wire die Geschichten von Politikern, Hafenarbeitern, Lehrern und Journalisten und davon, welchen Herausforderungen und Problemen sie sich während ihrer Arbeit und im Rest ihres Alltags stellen müssen. Die TV-Serie folgt ihren Protagonisten stets unprätentiös, realitätsnah und ohne Übertreibung. Die Kamera verfolgt und zeigt, ohne jegliche Wertung. Auf Musikuntermalung wird, bis auf wenige Ausnahmen, fast vollständig verzichtet.

Die komplexen Verflechtungen und Zusammenhänge werden nur langsam enthüllt. Wer genau hinsieht wird oftmals mit winzigen und hochinteressanten Details belohnt. Aufgrund der schieren Masse an Charakteren verlangt The Wire dem Zuschauer einige Konzentration und Mitarbeit ab. Diese TV-Serie kann nicht einfach nebenbei konsumiert werden. Dafür sind die Inhalte außerdem zu schwer verdaulich. Gekonnt bauen die Macher ihren Plot auf, in dessen Verlauf keiner vor Enttäuschungen und Stolpersteinen sicher ist und jeder irgendwann von der bitteren und harten Realität eingeholt wird. Lichtblicke, das wird schnell klar, sind rar, klein und kostbar.

The Wire zeigt eine Stadt ohne wirkliche Helden. Jeder einzelne Charakter hat zwei Seiten. Wurde eine davon – je nachdem ob positiv oder negativ – eine Weile beleuchtet, kommt schlagartig die andere wieder zum Vorschein. Wechselbäder der Gefühle sind dem Zuschauer deshalb gewiss und Ausnahmen gibt es keine. Dafür sind alle Protagonisten ausnahmlos menschlich. Dass die Figuren so vielschichtig sind, ist nicht nur den Autoren, sondern auch den großartigen Schauspielern zu verdanken. Egal ob Dominic West als Detective McNulty, Idris Elba als Drogenboss Russel „Stringer“ Bell, Andre Rojo als Drogenabhängiger und Informant „Bubbles“, Lance Reddic als Police Lieutenant Cedric Daniels oder Michael K. Williams als Räuber Omar Little, der davon lebt, Gangster zu bestehlen – um nur einige Beispiele zu nennen – wurde jede Rolle treffsicher besetzt. Die Akteure spielen allesamt mit sichtlicher Hingabe.

Um diese Serie genießen zu können, sollte man sich im Voraus nicht zu viele Gedanken darüber machen, was einen möglicherweise erwartet und getrost die Rolle des unvoreingenommenen Beobachters, die die Macher für ihre Zuschauer vorgesehen haben, einnehmen. Die Belohnung ist ein intensives Erlebnis, eine Achterbahnfahrt der Gefühle und jede Menge Stoff zum Nachdenken. The Wire beleuchtet eine typisierte postindustrielle amerikanische Stadt. Viele der dargestellten Probleme sind allerdings auch für den Rest der Welt nicht ganz undenkbar und nicht allzu fern. Ich kann vor den Machern nur den Hut ziehen und jedem, der die TV-Serie noch nicht kennt, eine dringende Sehempfehlung aussprechen – im englischen Originalton, versteht sich.