Die Schirn in Frankfurt gehört definitiv zu meinen Lieblingskunsthallen (Link zur Homepage der Schirn). Was Direktor Max Hollein und seine Kuratoren an Ausstellungen nach Frankfurt holen und die Art, wie dort Kunst präsentiert wird, ist regelmäßig spektakulär und absolut sehenswert. Zurzeit stellt dort Yoko Ono (Link zu Wikipedia) unter dem Motto „Half-a-Wind Show. Eine Retrospektive.“ aus. Die Ausstellung gastiert noch bis zum 12. Mai 2013 in der Schirn und ich kann jedem, der an zeitgenössischer Kunst interessiert ist, nur empfehlen sich die dort präsentierten Werke anzusehen.
Yoko Ono ist vielen ein Begriff. Fans der Beatles reagieren regelmäßig empfindlich auf den Namen der Künstlerin, sag man ihr doch nach, sie habe die Band (vorsätzlich) auseinandergebracht. Ich persönlich bin kein großer Fan der Beatles, obwohl ich ihre musikalischen Verdienste zu würdigen weiß. Wahrscheinlich konnte ich den Kunstwerken von Frau Ono deshalb auch von Anfang an vorurteilsfrei begegnen. Ich kann nur jedem nahelegen, es mir gleich zu tun. Es lohnt sich.
Meine Mutter, die mit mir zusammen die Ausstellung besuchte, ist zwar kein ausgesprochener Beatles-Fan, allerdings hat sie deren große musikalische Zeiten erlebt und konnte sich deshalb anfangs nicht ganz von einer gewissen Grundskepsis Yoko Ono gegenüber lösen. Im Nachhinein musste sie jedoch zugeben, dass sie durch das Gesehene ein komplett anderes und fast gänzlich neues Bild von der Künstlerin gewonnen hat. Meine ohnehin kunstinteressierte Mama, die stets offen und bereit ist, ihre Meinung zu revidieren, ist vielleicht nicht der beste Maßstab, aber ich hoffe dennoch sehr, dass es vielen Menschen ähnlich geht. Yoko Ono hat positive Aufmerksamkeit mehr als verdient.
Die „Half-a-Wind Show“ in der Schirn deckt als Retrospektive das gesamte Spektrum der künstlerischen Tätigkeit von Yoko Ono ab. Neben Zeichnungen, Bildern und Installationen wird auch den Performances, sowie ihrem musikalischen und filmischen Schaffen Rechnung getragen. Die Kunstwerke sind dabei thematisch sowie chronologisch angeordnet.
Dass Yoko Ono eine gehörige Portion Humor hat, wird schon beim Betreten der Ausstellung klar, wenn viele Besucher dem Drang der inneren Ordnung nachgeben und versuchen, den ersten Ausstellungsraum durch eine Drehtür zu betreten. Diese führt allerdings nicht hinein, sondern nur wieder an den Anfang zurück. Nur durch den blauen Perlenvorhang daneben, der die Besucher unweigerlich streift, ihnen quasi die Vorurteile und den Alltag abstreift, kann der erste mit Kunstwerken bestückte Raum betreten werden. Schon durch diese, auf den ersten Blick unscheinbaren, gar gewöhnlichen Details wird den Besuchern das erste Lächeln auf die Gesichter gezaubert.
In der Ausstellung gibt es viele Werke, bei denen die Künstlerin den Betrachter direkt einbezieht, ihn auffordert, an der Kunst teilzunehmen, sogar Teil der Kunst zu werden. An Kaugummiautomaten können „Air Capsules“ (Kapseln mit Luft) gezogen werden. Ein Kunstwerk aus Marmor lädt zum Befühlen und sinnlichen Erkunden ein. Weitere Werke, wie ein Labyrinth aus Plexiglas, gilt es zu betreten und mit allen Sinnen zu erleben. Das von Yoko Ono eigens für die Schirn entwickelte Kunstwerk „Moving Mountains“ ist quasi eine offene Performance, bei der jeder mitmachen kann, der möchte.
All diese Kunst zum Anfassen erzeugt eine wunderbare Atmosphäre in den Ausstellungsräumen. Leute tasten sich fröhlich durch das durchsichtige Labyrinth, lachen zusammen, hören Musik und schauen sich verschieden lange Filminstallationen an. Ich habe noch nie eine Ausstellung gesehen (oder besser erlebt), bei der konstant so viele lächelnde Gesichter zugegen waren, bei der Groß und Klein sich gemeinsam und in gleich großem Maße an der Kunst freuten. Yoko Ono schafft damit etwas, was nur ganz wenigen Künstlern gelingt: Begeisterung ganz ohne Erklärungsbedarf.
Yoko Onos Werke enthalten eine Menge Bedeutung, schöne Botschaften. So hat mich beispielsweise ihre „Sky Machine“ fasziniert, ein silberner Automat, an dem sich Interessierte kleine, handgeschriebene Zettelchen ziehen konnten, auf denen nur das Wort „Sky“ (Himmel) stand. Leider war dies keines der Kunstwerke zum Anfassen, aber die Botschaft der Künstlerin war dennoch greifbar: „Ich würde gerne Sky Machines in den Straßen sehen, statt Getränkeautomaten. Wir brauchen mehr Himmel, statt Coke.“ Eine sehr schöne Aussage, finde ich, besonders wenn man bedenkt, dass der Himmel für Yoko Ono gleichbedeutend mit dem perfekten Zustand und mit Zufriedenheit ist.
Auch eine Installation mit dem Namen „Cricket Memories“ hat mich beeindruckt. Kleine Vogelkäfige stehen als Sinnbild für schreckliche Erlebnisse. Darunter befinden sich ein Stuhl, ein Tisch mit einem schwarzen Buch darauf und die Aufforderung, die eigenen „Cricket Memories“ hineinzuschreiben. Nicht wenige Besucher haben dies getan, gleich neben Zeichnungen von Kindern, denen einfach nur Buch und Stift in die Hände gefallen sind, die aber wahrscheinlich auch glücklicherweise noch keine „Cricket Memories“ haben und deshalb einfach fröhliche Dinge mitteilten.
Nicht alle der ausgestellten Werke konnten mich gleichermaßen begeistern, aber das ist sicher nicht ungewöhnlich, besonders wenn ein einzelner Künstler so viele verschiedene Bereiche der Kunst abdeckt. Yoko Onos musikalisches Schaffen, sowie die gezeigten Filme, mit Ausnahme der Aufnahmen ihrer „Cut Piece“ Performance, empfand ich persönlich als weniger spektakulär, wenngleich mir einige darin enthaltene Ideen gefielen. Aber Kunst ist immer auch Geschmacksache und so konnte ich mich umso mehr für eine riesige Serie an Tuschezeichnungen und große Installationen mit Möbelstücken begeistern, eine davon komplett in Schwarz-Weiß.
Yoko Ono hat die Bekanntheit ihren Ehemannes, John Lennon, sicherlich eine ganze Zeit lang genutzt. Ich bin jedoch der Meinung, dass sie abseits davon und auch ohne den ganzen Beatles-Hintergrund als eigenständige und wichtige Künstlerin angesehen werden muss. Betrachtet man ihre Werke wird einem schnell klar: Yoko Ono lebt für die Kunst. Sie kann nicht anders. Yoko Ono ist gleichermaßen Kunst, wie Teil ihrer Kunst, aber auf keinen Fall künstlich. Sie ist ehrlich und steht einhundertprozentig hinter dem, was sie tut. Ich kann so viel Kreativität, Ideenvielfalt und Überzeugung nur bewundern. Vielleicht ging es John Lennon ja ähnlich, als er die Leiter des Kunstwerkes „Ceiling Painting“ emporstieg um, oben angekommen, mit der Lupe auf einem Spiegel das Wort „Yes“ (Ja) zu suchen und zu finden. Ich kann es mir gut vorstellen.