Verpflichtungen

Die meisten Menschen kommen jeden Tag Verpflichtungen nach. So auch ich. Sei es das Meeting bei der Arbeit oder überhaupt die Verpflichtung, werktags bei der Arbeit zu erscheinen, die man sich, des lieben Geldes wegen, als Angestellter per Arbeitsvertrag quasi selbst auferlegt hat. Hinzu kommen jede Menge Verpflichtungen im Alltag und auch das Privatleben bleibt von Verpflichtungen nicht verschont. Bei Letzterem sind es dann die Verpflichtungen Freunden und der Familie gegenüber, denen man aber gerne nachkommen sollte. Wenn nicht diesen, welchen Verpflichtungen dann?

So weit, so gut. Bleiben wir bei den privaten Verpflichtungen. Ich für meinen Teil habe recht schnell gelernt, dass Freunde im Laufe des Lebens kommen und gehen. Nicht alle Freunde, die einmal in unser Leben treten, begleiten uns für dessen Rest. Das ist schade, ist aber leider so. Die Gründe dafür sind vielfältig. Manchmal sind es räumliche Distanzen, und manchmal lebt man sich einfach auseinander. Das passiert, ganz einfach und ganz oft. Menschen verändern sich, Menschen werden durch das Zusammentreffen mit anderen Menschen verändert.

Im Prinzip sehe ich nichts Schlimmes daran, wenn man sich auseinanderlebt. Passiert das mit Freunden, egal ob als Einzelperson oder als Paar, lebt man sein Leben separat voneinander weiter. Das ist dann für alle Beteiligten angenehmer, als irgendwelchen Verpflichtungen nachzukommen und bei den gemeinsamen Unternehmungen im Grunde keinen Spaß zu haben, weil der gemeinsame Nenner fehlt oder verlorengegangen ist. Die Zeit kann ein gemeines Ding sein.

Die Freunde, die man kennenlernt und die bleiben, weil sie einen so akzeptieren und schätzen, wie man ist, das sind die wichtigen und die wertvollsten Freunde von allen. Bei ihnen muss man sich nicht verstellen und man kommt jeglichen Verpflichtungen gerne nach. Ich habe solche Freunde und ich bin froh und glücklich darüber. Ich habe sogar den Fall erlebt, dass man sich erst auseinanderlebt, jedoch später im Leben wiederfindet und die Freundschaft fortführt. Seitdem weiß ich: Alles ist möglich.

Was ich allerdings auch recht früh lernte, ist, dass es Menschen gibt, die andere Menschen ausnutzen und deshalb keine wirklichen Freunde sind. Seitdem wähle ich die Menschen, mit denen ich mich umgebe, mit Bedacht und trete manchen Menschen vielleicht mit mehr Argwohn entgegen, als nötig.

Ich habe auch erfahren müssen, dass es solche Menschen nicht nur im Freundeskreis, sondern auch in der Familie geben kann. Verwandtschaft schützt vor Missgunst, Neid und Ausnutzung nicht – leider ganz im Gegenteil. Familie ist in meinen Augen ohnehin ein dehnbarer Begriff. Für mich ist Familie inzwischen nur ein sehr kleiner Kreis.

Aus meiner Kindheit kenne ich große Familienfeste. Von Seiten einer Großmutter existieren viele Verwandte. Allerdings beruhte das Interesse am Leben der anderen leider nicht auf Gegenseitigkeit, nicht mal bei meinen Onkel und Tanten. Lange Zeit versuchte ich, Kontakt aufzubauen, rannte aber nur gegen Wände.

Mein Vater plädierte lange dafür, dass man Verwandte nicht so leicht aufgeben dürfe. Leicht aufgegeben habe ich nicht, ganz im Gegenteil. Aber als ich mich innerlich endlich losgesagt hatte, konnte ich das Ganze von außen betrachten und mit der Zeit auch meinem Vater die Augen öffnen.

Die Tatsache, dass man miteinander in irgendeiner Form verwandt ist, verpflichtet in meinen Augen keinen zu etwas. Menschen, die einen ausnutzen, sich schäbig benehmen und keinerlei Interesse an der Aufrechterhaltung eines Kontaktes zeigen, kann man getrost aus seinem Leben streichen, egal wie sie mit einem verwandt sind oder nicht. Ich halte das jedenfalls so und seitdem geht es mir wesentlich besser. Und als die Familienfeste kleiner wurden und die Plätze von gewissen Verwandten mit echten Freunden besetzt wurden, bekam das Feiern miteinander auch endlich wieder einen Sinn.

Immer wieder erlebe ich es, dass Menschen sich aufgrund von Verwandtschaft Verpflichtungen auferlegen, die ihnen mehr Kummer als Nutzen bringen. Das halte ich jedoch für unnötig. Hat man nette Verwandte, ist das schön. Ich verteufele Verwandtschaft an sich nicht im Geringsten. Wenn man sich gut versteht, ist das prima. In meinem Freundeskreis existieren sogar tolle Patchworkfamilien. Alles ist möglich.

Ich für meinen Teil habe mich von unnötigen familiären Verpflichtungen losgesagt und lebe seitdem unbeschwerter. Bei meiner Hochzeit beispielsweise habe ich meinen Teil der Gesellschaft mit den Menschen aufgefüllt, die mir wichtig sind, wichtiger als andere: meinen Freunden. Und es war ein tolles Fest, da nur diejenigen anwesend waren, mit denen ich dieses Ereignis teilen wollte, von Herzen und ganz ohne Verpflichtungen.