Kleiner Halbling, großes Kino

Lange Jahre mussten Fans von J. R. R. Tolkiens Büchern warten, bis Der Hobbit, die Vorgeschichte zu Der Herr der Ringe, endlich seinen Weg auf die Kinoleinwand fand. Nach einigem Hin-und-her machte sich Regisseur Peter Jackson, der schon die Herr-der-Ringe-Trilogie verfilmte, daran, die Geschichte um den Halbling Bilbo Beutlin zu verfilmen. (Links zu Wikipedia)

Zuerst war von zwei Filmen die Rede. Auf der diesjährigen Comic Con in San Diego wurde schließlich bekannt, dass das Projekt am Ende doch erneut drei Filme umspannen wird. Als ich dies hörte, war ich zuerst sehr skeptisch. Der Herr der Ringe besteht aus insgesamt drei Teilen/Büchern, von denen jedem ein Film gewidmet wurde. Der Hobbit ist nur ein einziges Buch, das zudem im Vergleich zu seinem Nachfolger in meinen Augen erheblich leichterer Lesestoff ist, schrieb es der Autor doch auch von vornherein für ein jüngeres Publikum.

Woher sollte also der ganze Inhalt für eine weitere Filmtrilogie kommen? Die Antwort ist inzwischen bekannt und lautet: Aus den Anhängen zu Der Herr der Ringe. Diese erklären viel davon, was in und zwischen Der Hobbit und Der Herr der Ringe in Mittelerde geschah und noch einiges darüber hinaus. Sie wurden bei der Verfilmung des letzteren Werkes fast gänzlich außen vor gelassen. Die momentanen Informationen lassen vermuten, dass die Handlung des Buches Der Hobbit mit dem zweiten Film zu großen Teilen abgeschlossen wird und dass der dritte Teil fast ausschließlich Stoff aus den Anhängen enthalten wird.

Pünktlich zur Weihnachtszeit lief nun der erste Film an: Der Hobbit – Eine unerwartete Reise (The Hobbit: An Unexpected Journey), den ich mir als großer Fan von Herrn Tolkiens Büchern natürlich nicht entgehen lassen konnte. So läutete ich den Weihnachtsurlaub mit einem ausgiebigen Kinobesuch ein. Der Film fordert seinen Zuschauern mit seinen 169 Minuten wieder einiges an Sitzfleisch ab.

Ja, der Film ist lang. Allen, die sich fragen, ob er in meinen Augen zu lang ist, kann ich aber mit einem ganz klaren „Nein!“ antworten. Peter Jackson entwickelt mit seiner Darstellung von Mittelerde einen solchen Sog, dass der Zuschauer für die gesamte Zeit einfach in dieser fantastischen Welt gefangen ist und gar nicht merkt, wie die Zeit vergeht. In meinen Augen hatte der neueste James-Bond-Streifen Skyfall mehr Längen als der Hobbit, wenngleich man die beiden Filme vom Genre her nicht miteinander vergleichen kann.

Viel wird diskutiert über die neue HFR-3D-Technologie (High Frame Rate 3D). Mir persönlich hat das Ergebnis sehr gut gefallen. Dank einer höheren Bildwiederholfrequenz von 48 Bildern pro Sekunde (im Vergleich zu standardmäßigen 24 Bildern pro Sekunde), wirken die Bilder klarer und die Landschaften erhalten eine ungeheure Tiefe. Darüber hinaus kann man mit dieser Technologie offenbar die sonst bei 3D-Produktionen oftmals ungewohnten und teilweise nervigen Tiefenunschärfen vermeiden. Der Zuschauer erhält dadurch ein einzigartiges 3D-Erlebnis und kann den Film trotzdem sehen, wie er es möchte. Die in 3D-Filmen gelegentlich auftretenden Unschärfen in der Umgebung lassen dem Betrachter oftmals gar nicht die Möglichkeit, die Landschaften und das, was um die Charaktere herum passiert, zu betrachten. Gleichzeitig ist das in meinen Augen aber genau einer der Punkte, die es so interessant machen, Filme auf der großen Kinoleinwand zu sehen. HFR 3D macht dies nun zusätzlich zu 3D-Efekten möglich. Gleichzeitig sorgt die Produktion in und für 3D dafür, dass was die Tiefe anbelangt, sowohl vor  vor und hinter der Leinwand Raum gewonnen wird. Peter Jackson nutzt in seinem ersten Film alle Räume vorzüglich aus. Der Hobbit – Eine unerwartete Reise bietet 3D-Kino at its best und ist deshalb auch für technikbegeisterte Cineasten äußerst interessant.

Wurde die Handlung des Buches wie schon bei Der Herr der Ringe für den Film verändert? Ja. Die Handlung des Films folgt nicht eins zu eins dem Buch. Der Regisseur präsentiert dem Zuschauer den Film allerdings als Erzählung des aus Der Herr der Ringe bekannten, älteren Bilbo Beutlin, als dieser gerade dabei ist, seine Erlebnisse aufzuschreiben. Darüber hinaus gibt Gandalf im Film den verschmitzten Hinweis, dass Geschichten dazu da sind, ausgeschmückt zu werden. Aufgrund dieser charmanten Präsentation bin ich persönlich durchaus bereit, die Unterschiede zur Vorlage anzuerkennen. Was mir im Großen und Ganzen auffiel ist, dass die Rollen einiger Figuren verändert, einige Aspekte aus den Anhängen hinzugefügt und einige Dinge weiter ausgeschmückt wurden. Für mich persönlich bewegt sich aber alles in einem Rahmen, den man als künstlerische Freiheit sehen kann. Schließlich gibt es auch von der Buchvorlage verschiedene Übersetzungen, über die die Fangemeinde diskutiert.

Was Peter Jackson meiner Meinung nach ein bisschen weiter herausarbeiten hätte können, ist der dem Buch so eigene Humor. Der Film kommt düsterer und getragener daher, jedoch ohne den Humor ganz vermissen zu lassen. Es gibt durchaus humorige Stellen, mehr als bei Der Herr der Ringe und das ist auch vollkommen richtig so, für meinen Geschmack hätte es an der einen oder anderen Stelle aber ruhig noch etwas mehr sein können. Durch diesen Eingriff erreichen die Macher allerdings, dass der Hobbit sich als Herr-der-Ringe-Prequel besser in das Gesamtkonzept einfügt. Dafür sind die Actionszenen aber viel rasanter inszeniert, als bei Der Herr der Ringe, was zum Teil sicherlich dem technischen Fortschritt geschuldet ist.

Sehr positiv fiel mir auf, dass die Bewohner von Mittelerde nun endlich einmal singen – zumindest die Zwerge. In den Büchern lebt Mittelerde durch seine Gedichte und Lieder. Jedes Volk hat seine eigenen. Gerade diese Lieder habe ich in den Herr-der-Ringe-Filmen schmerzlich vermisst, machen sie doch die sagenhafte Welt und ihre Charaktere noch lebendiger. Die Szene, als die Zwerge in Bilbos Hobbithöhle ankommen, dort ein Fest veranstalten und anschließend beisammen sitzen und singen, hat deshalb mein Herz erwärmt und höher schlagen lassen. Generell ist die musikalische Untermalung von Howard Shore ganz wundervoll und mehr als passend, geradezu perfekt.

Am Ende waren es in meinen Augen gerade die ruhigeren Szenen, die den Film zu einem so einzigartigen Erlebnis machen. Wenn Gandalf über Freundschaft und seine Vermutungen, wer wie Einfluss auf die Geschicke der Welt nehmen kann, erzählt und Ian McKellen großartige Schauspielkunst darbietet, bin ich in Mittelerde angekommen. Außerdem ist Peter Jackson ein absoluter Detail-Künstler. Von der Ausrüstung der Charaktere bis zum kleinsten Nebenpart (z.B. ein kleiner Ork-Bote auf einer Seilbahn) ist alles bis ins Kleinste ausgearbeitet.

Generell ist es schön, dass die aus Der Herr der Ringe bekannten Figuren von denselben Schauspielern verkörpert werden, wenngleich ich nach wie vor Hugo Weaving als Elrond für eine der größten Fehlbesetzungen aller Zeiten halte. Elrond wird in den Büchern als ausgesprochen schöner Halbelb beschrieben. Es mag ja alles Geschmacksache sein, aber ich habe ihn mir eher so vorgestellt, wie Thranduil, der am Anfang von Der Hobbit – Eine unerwartete Reise auftaucht. Die restliche Besetzung halte ich im Übrigen für äußerst gelungen. Martin Freeman spielt seine Rolle als junger Bilbo mit offenkundiger Freude an der Sache und dementsprechend sehr überzeugend.

Das Highlight des Films war für mich die Szene, in der Bilbo auf Gollum trifft. Atemberaubende Tricktechnik und ein überragender Andy Serkis machen eine unglaublich detaillierte Darstellung dieser zutiefst in sich zerrissenen Figur möglich, bei der der Zuschauer wie auch Bilbo zwischen Verwunderung, Respekt, Angst und Mitgefühl hin und her gerissen wird. Hier wird sich kein Kinobesucher einer emotionalen Reaktion erwehren können.

Peter Jackson zeigt mit Der Hobbit – Eine unerwartete Reise wieder einmal sein einzigartiges Gespür und seine Leidenschaft für Tolkiens Werke. Er hat ein großartiges Kinoerlebnis geschaffen, das ich Fans und Mittelerde-Neulingen gleichermaßen ans Herz legen möchte. Ich bin mittlerweile der Meinung, man hätte Herrn Jackson die Möglichkeit geben sollen, aus Der Herr der Ringe mehr als drei Filme zu machen. Zu viel wurde selbst in der Extended Edition gekürzt (Tom Bombadil) und augenscheinlich auch aus Zeitgründen verändert (Armee der Toten). Denn es sind weniger die Schlachten, als die ruhigen Szenen, in denen man ganz und gar in Mittelerde ankommt und die unglaubliche Tiefe und Komplexität dieser Welt klar vor Augen hat. Fragt man mich nach meinem Gesamturteil, so recke ich alle Daumen, die ich habe, nach oben und ich freue mich schon jetzt auf den zweiten Teil Der Hobbit – Die Einöde von Smaug (The Hobbit: The Desolation of Smaug), der jedoch leider noch ein ganzes Jahr auf sich warten lässt.

2 Gedanken zu „Kleiner Halbling, großes Kino

  1. nic Niggli-Aigner (@nicniggliaigner)

    Einmal mehr sehr gelungener Bericht. Ich kann dem Geschriebenen nur zustimmen.
    Die Schlüsselszenen (aus den Erzählungen Tolkien) wurden durch Peter Jackson mit Bravour in Szene gesetzt (beispielsweise die von dir beschriebene Erstbegegnung zwischen Bilbo und Gollum); und genau dieses Feingespür hat Jackson und seine Crew.

    Grüsse – und bei dieser Gelegenheit tolle Festtage euch allen.
    nic

  2. Nidal

    Toll geschriebener Artikel! Dein Blog ist mein Fundstück der letzten Zeit, gefunden via Foursquare mit Bande über Twitter und nun hier gelandet, nachdem ich rein zufällig heute abend den Hobbit sehen konnte im Metropolis FFM. Dein Text hat mir den Abschluss des langen Abends gekrönt : ) Nidal

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