Wirkungslose Nebenwirkungen

Es gibt Regisseure, von denen ich mehrere Filme so schätze, dass ich es gar nicht recht wahrhaben will, wenn ihre Leistungen plötzlich abfallen und spätere Werke einfach nicht an frühere heranreichen können. Zu dieser Gattung gehören unter anderem Taylor Hackford, dessen Im Auftrag des Teufels (The Devil’s Advocate) nach wie vor zu meinen Lieblingsfilmen zählt und Christopher Nolan, der mich mit Inception und The Dark Knight Rises furchtbar enttäuscht und sogar wütend gemacht hat. Nachdem ich Side Effects gesehen habe, reiht sich nun Steven Soderbergh endgültig und nahtlos in diese Riege ein. (Links in diesem Absatz und im weiteren Verlauf des Artikels zu IMDB)

Out of Sight, Erin Brockovich, Ocean’s Eleven, allesamt sehr gut gemachte, spannende und unterhaltsame Filme, in denen Schauspieler, von denen ich es weniger erwartet hätte, zu Höchstform aufliefen. Für Traffic – Die Macht des Kartells erhielt Steven Sonderbergh im Jahr 2001 sogar den Oscar für die beste Regie und das nicht unverdient. Für mich persönlich begann die Qualität seiner Filme ab dem furchtbar unspektakulären und unspannenden „Schnupfenfilm“ Contagion rapide nachzulassen. Türklinken alleine sorgen leider noch nicht für beklemmende Outbreak-Stimmung und zu viele Charaktere können einen Plot leicht überstrapazieren. So richtig aufgeben, wollte ich Herrn Soderbergh aber dennoch nicht und so schaute ich mir Side Effetcs an, den Film, der laut eigenen Angaben sein vorerst letzter Kinofilm sein soll.

Etwas über Side Effects zu schreiben, ohne zu spoilern, ist wirklich schwer, aber ich versuche es, für alle Leser, die sich den Film evetuell doch noch ansehen wollen.

Der Film beginnt mit der Geschichte eines jungen Ehepaars. Der Ehemann, Martin Taylor, hat eine Haftstrafe von vier Jahre wegen Insiderhandel abgesessen und wird aus dem Gefängnis entlassen. Wieder auf freiem Fuß trifft er auf seine Ehefrau, Emily Taylor, die auf ihn gewartet hat. Die junge Frau kämpft aufgrund ihrer schwierigen Lebensumstände mit Depressionen und begibt sich schließlich in die Behandlung des Psychiaters Dr. Jonathan Banks. Verschiedene tragische Ereignisse geraten ins Rollen und für den Psychiater beginnt eine Odyssee auf der Suche nach der Wahrheit.

Side Effects beginnt spannend und ich würde die ersten beiden Drittel auch als durchaus guten Film bezeichnen, allerdings empfand ich das letzte Drittel als so unfassbar schlecht, dass es das komplette Werk zum „Rohrkrepierer“ werden lässt. Was als interessante Geschichte über Medikamente und deren Gefahren, über die Pharmaindustrie, Lobbyismus und den Umgang der heutigen Gesellschaft mit psychischen Krankheiten beginnt, zerstört sich und all die möglichen, sinnvollen Botschaften durch eine völlig abstruse Auflösung quasi selbst. Wie viel ließe sich darüber nachdenken und philosophieren, dass die Einnahme von Pillen zu großen Teilen Alltag geworden ist. Schon kleine Kinder werden analysiert und beim kleinsten Anzeichen von Unruhe gegen ADHS medikamentiert. Schüler und Studenten nehmen Mittel zur Verbesserung der Konzentration und Lernfähigkeit und sind ein strahlendes Beispiel dafür, wie sorglos oftmals mit Medikamenten umgegangen wird und wie mögliche Nebenwirkungen völlig außer Acht gelassen werden. Das alles hätte in Verbindung mit der Betrachtung von Ärzten, deren Beratertätigkeiten für Pharmakonzerne im Rahmen von Studien und ihren Einfluss auf Patienten als Stoff für einen guten Thriller ausgereicht. Andere Filme haben es mit ähnlichen realitätsnahen und politischen Themen vorgemacht. Ich denke da beispielsweise an die spannende Betrachtung der Tabakindustrie in The Insider.

In Side Effects werden viele interessante Themen angerissen und ich wähnte sogar schon einen genialen Schachzug, als zwei Psychiater dazu ansetzten, sich gegenseitig zu analysieren. In dem Moment, in dem die Wahrheit ans Licht kommt, ab einer gewissen Szene, die ich schlicht als unnötig, reißerisch und absolut unglaubwürdig ansehe, schlägt die Story allerdings so viele Haken und Salti und reduziert alles auf eine absolut billige und einfallslose Erklärung. All die kleinen Hinweise und Gedanken, die zuvor enthalten waren, werden damit komplett außer Kraft gesetzt, ihnen wird schlichtweg der Boden für weitere Interpretationen entzogen. Wenn alles so einfach ist, braucht man an das Große und Ganze keinen Gedanken mehr zu verschwenden. Alle Nebenwirkungen werden mit einem Schlag wirkungslos. Ich habe es lange nicht erlebt, dass ein Film so stark angefangen und mit einem Mal so stark nachgelassen hat. Side Effects ist ein Film mit Selbstzerstörungsmechanismus. Bedeutungsvielfalt verpufft mit einem Schlag. Was bleibt ist Bedeutungslosigkeit.

Der Film weist aber nicht nur storytechnisch grobe Lücken auf. Auch die Schauspieler können meiner Meinung nach nicht überzeugen. Rooney Mara schleicht als depressive und tieftraurige Ehefrau mit einem ewig gleichen Gesichtsausdruck durch den Film. Sämtliche Wendungen und Wandel, die die Figur durchlebt, nehme ich ihr leider nicht ab. Catherine Zeta-Jones schlafwandelt als undurchsichtige Psychiaterin und Vorgängerin von Dr. Banks bei der Bahandlung von Emily durch den Film, völlig ohne Emotion und Ausdruckskraft. Channing Tatum bekommt in seiner Rolle als aus dem Gefängnis entlassener Ehemann nicht besonders viel zu tun und wirkt sehr blass. Er gefiel mir in der Rolle des G.I. Joe „Duke“ wesentlich besser. Jude Law liefert von allen Beteiligten zwar die beste Leistung ab, aber auch er hat schon viel besser gespielt, z.B. als Dr. Watson an er Seite von Robert Downey Jr. als Sherlock Holmes.

Neben all den inhaltlichen und handwerklichen Defiziten ist Side Effects ein weiteres Beispiel für unterirdische deutsche Synchronisation. Ich kann vom Ansehen der deutschen Fassung nur abraten. Warum tendieren Synchronsprecher neuerdings eigentlich vermehrt dazu das „T“ in „nicht“ zu verschlucken? Mir fiel dies schon bei „Lincoln“ unangenehm auf und ich kann und will diese Entwicklung überhaupt nichT nachvollziehen. Es gibt einfach zu wenige Kinos, die Filme (zu „Prime Time“-Anfangszeiten) im Original zeigen.

Vielleicht braucht Steven Soderbergh die angekündigte kreative Pause von Hollywood. Meinen Segen hat er nach Side Effects. Dass Regisseure nach einer Tiefphase zu alter Größe zurückfinden können, hat Steven Spielberg mit Lincoln vor Kurzem eindrucksvoll bewiesen. Ich wünsche mir, dass anderen dies auch gelingt.

Nach drei Wochen mit mehr oder weniger durchschnittlichen Kinoerlebnissen, sehne ich mich nun nach einem richtigen Kracher. Ich hoffe sehr, dass „Iron Man 3“ nächste Woche diese Lücke füllen kann. Der Mai verspricht ja ohnehin ein äußerst spannender Kinomonat zu werden. Im Wochentakt laufen interessante Filme an. Der eiserne Held wird gefolgt von „Star Trek: Into Darkness“ und „Evil Dead“. Ich sehe Licht am Ende des Tunnels, der durch den Einheitsbrei führt. Wie viel „Extremis“ steckt wirklich in „Iron Man 3“? Wie viel Action und J. J. Abrams verträgt „Star Trek“? Kann „Evil Dead“ ohne Ash funktionieren? Fragen über Fragen, deren Beantwortung ich mich in den nächsten Wochen mit Freuden stellen werde. In diesem Sinne: Stay tuned!