Christian Bale ist eines der bemerkenswertesten Talente, die Hollywood derzeit zu bieten hat. Seine Rollen, denen er sich durchweg buchstäblich mit Haut und Haar verschreibt, könnten unterschiedlicher kaum sein. Abmagern, trainieren, zunehmen – es gibt scheinbar nichts, was der stets voll konzentrierte und involvierte Schauspieler nicht tun würde, um den von ihm verkörperten Charakteren überzeugend Leben einzuhauchen. Nach seinem hinreißenden Auftritt als Trickbetrüger in American Hustle (Link zu IMDB) übernimmt er in Scoot Coopers neuestem Werk Auge um Auge (Out of The Furnace) einen dazu gänzlich verschiedenen Part. Als Stahlwerksmitarbeiter Russell Baze, dem man das harte Leben und das Schuften am Hochofen körperlich ansieht, wird er durch eine Verkettung unglücklicher Umstände auf einen gefährlichen Rachepfad gelenkt. Dabei gerät nicht nur Russell selbst, sondern auch sein spielsüchtiger Bruder Rodney mit dem Gesetz mehr oder weniger freiwillig in Konflikt.
Das Schauspielerensemble an der Seite von Christian Bale besteht fast durchweg aus echten Hollywood-Schwergewichten. Egal ob Willem Dafoe als zwielichtiger Geschäftsmann John Petty oder Woody Harrelson als Harlan DeGroat, seines Zeichens drogensüchtiger Hinterwäldler und erfolgreicher Veranstalter von brutalen Bareknuckle Fights – die Leistung aller Beteiligten ist erstklassig. Casey Affleck überzeugt als Irak-Veteran Rodney Baze, der vergeblich einen Weg ins normale Leben zurückzufinden versucht. Hier könnte sich der reale Bruder bisweilen eine große Scheibe abschneiden. Zoë Saldaña überrascht mit einem betont natürlichen Aussehen und Forest Whitaker passt prima in die Rolle als Kleinstadtpolizist Wesley Barnes, der den Gesetzeswidrigkeiten in der Wildnis der Apalachen zu seinem eigenen Bedauern viel zu wenig entgegenzusetzen hat.
Regisseur und Ko-Drehbuchautor Scott Cooper lässt sich beim Erzählen der Geschichte von Russell Baze betont Zeit. So kratzt das Geschehen nicht nur an der Oberfläche von einem wahren Schmelztiegel der Probleme, dem sämtliche Bewohner der Arbeiterstadt gegenüberstehen, sondern dringt bis in das Innerste der einzelnen Figuren durch. Jeder der Protagonisten kämpft auf seine eigene Weise um ein möglichst erstrebenswertes Leben in wirtschaftlich und politisch schwierigen Zeiten eines Landes, in dem ehrliche Arbeit als hohes Gut gilt, jedoch denen, die an ihr festhalten, in Wirklichkeit immer weniger einbringt. Die düsteren Farben und der wuchtige, mit Country-Gitarren angehauchte Soundtrack von Dickon Hinchliffe tragen ihr Übriges dazu bei, die beklemmende Atmosphäre zu unterstreichen.
Einzige Schwachstelle des realistischen und alles andere als zimperlich präsentierten Thriller-Dramas ist die Linearität des Plots. Gänzlich frei von möglichen Wendungen und Überraschungsmomenten plätschert die Story ihrem unvermeidlichen Ende entgegen. Vergleichsweise unglücklich gewählt ist deshalb der deutsche Filmtitel, suggeriert er doch eher einen bewussten und actiongeladenen Rachefeldzug, denn eine schicksalhafte Abfolge von Ereignissen. Trotz überragender Darsteller verbleibt am Ende das ungute Gefühl, dass man aus dem Los des Stahlarbeiters, dessen Bemühungen, sich aus seinem Hamsterrad aus Arbeit und Familie zu befreien, fruchtlos bleiben, so viel mehr hätte machen können. Abgesehen von diesem Pferdefuß ist Auge um Auge für Fans von harten und realistischen Filmen, die mit schaupielerischer Leistung statt Spezialeffekten zu überzeugen wissen, den Gang ins Kino aber durchaus wert.